Melancholisches Flackern

HOUSEMUSIK Poststudentische Gags und historische Tiefenschärfe aus Berlin und Hamburg – die neuen Alben von John Roberts und Christopher Rau

VON ARAM LINTZEL

Ob Chillwave oder Witch House oder Glow Fi: Der wuchernde Netzdiskurs bringt fast wöchentlich neue kuriose Mikro-Hypes hervor. Produzenten von althergebrachtem House und Techno verschwinden deshalb aber nicht von der Bildfläche, unverzagt übersetzen sie die Konventionen ihres Genres in neue Formen. Das kann dann manchmal allzu funktional und cluborientiert klingen. Doch kann die gute alte gerade Bassdrum auch Strukturprinzip einer romantischen und intimen Textur werden. Für diesen Ansatz steht seit nunmehr elf Jahren das Label Dial mit Künstlern wie Lawrence, Carsten Jost oder Pantha du Prince. Der aus Cleveland stammende US-Amerikaner John Roberts ist neu bei dem Hamburger Label, gerade ist sein Debütalbum „Glass Eights“ erschienen.

Auf dem Cover sieht man ein Foto mit Roberts’ modischem Erkennungszeichen: abgerockte Desert Boots unter ultraengen Krempeljeans. Die Kameraperspektive könnte man programmatisch lesen, denn auf „Glass Eights“ hören wir eine introvertierte, schwächelnde Version von Housemusik, sodass sich in Anlehnung an eine Indiepop-Spielart von „Shoegaze House“ sprechen lässt.

Roberts geht schüchtern und sachte vor, er deutet skizzenhaft an, anstatt seine Deep-House-Arrangements mit klaren Ansagen auszustatten. Die Intensitäten des Clubs sind eher untergründig am Werk, als eine Art melancholisches Flackern. Sanft legen sich die Melodiefragmente aus Piano- und Orgelklängen als analoge Patina über die Grooves aus dem Drum-Computer. Wie die Klaviertöne dabei im Raum stehen, erinnert – ohne prätentiös zu klingen – an Roberts’ Lieblingskomponisten Erik Satie.

Roberts erzeugt durch den Einsatz analoger Instrumente eine emotionale Dichte, der man sich selbst zu Hause in der digitalen Einsamkeit kaum entziehen kann. Bei einem Stück spielt John Roberts’ Mutter das Klavier, eine rührende Anekdote zu diesem beeindruckenden Album.

Nicht weniger subtil, gleichwohl wuchtiger klingt das erste Album von Christopher Rau. „Asper Clouds“ erscheint bei dem ebenfalls in Hamburg ansässigen Label Smallville, das an den gleichnamigen Plattenladen angeschlossen ist und mit Dial freundschaftliche Verbindungen unterhält.

Begehren ohne Erfüllung

2009 hatte Rau 2009 einen kleinen Clubhit „Ne Travaillez Jamais“, der einen magischen Sog erzeugte. Der Track findet sich auch auf „Asper Clouds“, das trotz seiner einladenden Zugänglichkeit auf berechenbaren Funktionalismus verzichtet. Zaudernd schleichen eingängige Samples heran, verführerisch die satten, aber nie platten Grooves.

Der Gähner zu Beginn des Albums kann als poststudentischer Gag aufgefasst werden – oder auch als Hinweis darauf, dass Musik bewusst Konzentrationsverluste und Abschweifungen zulassen muss, um Raum für Assoziationen zu schaffen. Die Sprach-Samples aus dem afroamerikanischen Kontext, die Rau platziert, sind dabei Gesten wider das minimalistische „Ballastabwerfen“.

Deklamierende Stimmen und eingestreute Spurenelemente aus Jazz und Soul erzeugen eine historische Tiefenschärfe, die über den Clubkosmos hinausweist. Wenn Rau sozial codierte Störgeräusche hereinlässt und Techno mit seinen Ahnen ins Gespräch bringt, orientiert er sich nicht zuletzt an Kenny Dixon Jr alias Moodymann. Die Bezugnahme auf die Geschichte von Soul konfrontiert die Wunschmaschine Techno nebenbei mit der Kategorie der Enttäuschung, die schönsten Soulsongs handeln schließlich von einem Begehren ohne Erfüllung. Wie John Roberts geht es Christopher Rau um emotionale Verwandlungen statt um eindeutige Affekte. Beide setzen so die Dial-Idee einer romantischen Housemusik fort, ohne in ihrer Skepsis gegenüber den Abfahrts-Imperativen Musik für neoempfindsame Schöngeister zu machen.

John Roberts: „Glass Eights“ (Dial) ■ Christopher Rau: „Asper Clouds“ (Smallville)