ANDREAS WYPUTTA ÜBER DEN DORTMUNDER GIFTSKANDAL
: Weniger Bürokratie, mehr Opfer

Ob SPD- oder CDU-geführt: seit über einem Jahrzehnt wiederholen Nordrhein-Westfalens Landesregierungen das Mantra von der Entbürokratisierung. Schlanker und effizienter sollte die Verwaltung werden. Schon unter Führung des Exsozialdemokraten Wolfgang Clement wurden wichtige Behörden wie Arbeitsschutz und Gewerbeaufsicht personell erheblich ausgedünnt. Getreu seinem Motto „Privat vor Staat“ zerschlug danach das Kabinett des im Mai abgewählten Christdemokraten Jürgen Rüttgers die Umweltkontrolle: die einstige staatlichen Umweltämter. Deren Kompetenz sei „einfach wegdiffundiert“, klagt das mittlerweile wieder grün geführte Düsseldorfer Umweltministerium heute.

Den viel zu hohen Preis der Entbürokratisierungsorgie zahlen die Opfer gewissenloser Unternehmen wie der Dortmunder PCB-Giftfirma Envio. Die Angst, krank und arbeitsunfähig zu werden, frisst die Arbeiter auf. In die gesundheitsgefährdenden Jobs hineingetrieben hat sie die Angst vor der Arbeitslosigkeit und dem Absturz auf Hartz IV. Die rot-grüne Minderheitsregierung verspricht jetzt nicht nur hunderte neue Umweltkontrolleure. Ein Gutachten soll auch klären, ob ganze Behörden neu aufgebaut werden müssen – schließlich kann sich ein Fall wie Envio nach Einschätzung hochrangiger Ministerialer mangels Kontrolle jederzeit wiederholen.

Endlich geklärt werden soll aber auch die persönliche Verantwortung einzelner Beamter. Trotz Arbeitsüberlastung wirkt ihr Versagen kafkaesk. Mehr als ein Jahr brauchten sie, um den Zusammenhang zwischen der erhöhten PCB-Belastung im Dortmunder Norden und der PCB-Firma Envio zu erkennen. Bei allem Personalmangel: Effektive Kontrollen wären möglich gewesen. Einmal aufgewacht, brauchte der Arbeitsschutz nur noch Tage bis zur Schließung der Giftfirma.

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