Letztes Geleit für Bülent Ecevit in Ankara

Die Beerdigung des Expremiers gerät zu einer Demonstration für eine laizistische Türkei und gegen die amtierende islamische Regierung von Tayyip Erdogan. Dessen AKP versucht sich bei ihrem zweiten Parteitag auf das Wahljahr 2007 einzustimmen

AUS ISTANBUL JÜRGEN GOTTSCHLICH

Es müssen einige hunderttausende Menschen gewesen sein, die am vergangenen Samstag jeden Winkel in den Straßen der türkischen Hauptstadt Ankara füllten, um Bülent Ecevit, dem großen alten Mann der türkischen Sozialdemokratie, das letzte Geleit zu geben. Extra für Ecevit hatte das Parlament ein Gesetz geändert, um den Weg für eine Bestattung auf dem Staatsfriedhof frei zu machen. Diese Ehre war bis dahin Staatspräsidenten und engen Mitstreitern des Staatsgründers Mustafa Kemal Atatürks vorbehalten.

Der Leichnam Ecevits wurde vor der Zentrale seiner letzten Partei DSP aufgebart, von dort zum Parlament gebracht und dann von der Kocatepe-Moschee, dem größten Gotteshaus Ankaras, quer durch die Stadt zur letzten Ruhe geleitet. Zum Trauerzug für Ecevit hatte sich vor allem die laizistische Türkei versammelt. Der Leichenwagen wurde eskortiert von Bergleuten aus dem Kohlenrevier Zonguldag, wo Ecevit während seines gesamten politischen Lebens seinen Wahlkreis hatte. Auf Plakaten waren Bekenntnisse zur weltlichen, laizistischen Verfassung der Türkei formuliert.

In Ecevit hatte die spezielle türkische Mischung von Kemalismus und Sozialismus ihren bekanntesten und letzten prominenten Vertreter. Die heutige Republikanische Volkspartei und ihr Chef Deniz Baykal sind nur noch ein müder nationalistischer Abklatsch der früheren Sozialdemokratie, von der Ecevit sich schon lange getrennt hatte, um in den frühen 90er-Jahre seine eigene Partei zu gründen. Die traditionelle türkische Linke ist heute völlig zersplittert und marginalisiert. Dennoch, das zeigte der Trauerzug am Samstag, ist das Potenzial offenbar noch vorhanden. Doch die Trauernden eint heute nur noch die Ablehnung der islamisch-grundierten Regierungspartei AKP. Als Premier Tayyip Erdogan mit dem größten Teil seines Kabinetts in der Kocatepe-Moschee erschien, wurde er streng abgeschirmt und von tausenden Polizisten bewacht. Die Menge empfing ihn mit Buhrufen. Erdogan und seine AKP sind für den laizistischen Teil der Türkei nicht nur politische Konkurrenten, sie sind der exakte Gegenentwurf zu all dem, wofür Ecevit stand.

Der Zufall des politischen Kalenders wollte es, dass am Tag der Beerdigung Ecevits die AKP in Ankara ihre zweiten großen Parteitag seit ihrer Gründung 2001 abhielt. Der Parteitag sollte dazu dienen, unter den Delegierten Aufbruchstimmung für das bevorstehende Wahljahr zu verbreiten. Erdogan, der wegen der Beerdigung erst am Nachmittag auf dem Parteitag erschien, beklagte sich, dass er ausgebuht worden wäre, wo er doch auch für die säkulare Republik sei.

Damit ist auch das entscheidende Thema für das kommende Jahr vorgegeben. Im kommenden Mai wählt das Parlament einen neuen Präsidenten, im November folgen Parlamentswahlen. Der nicht religiöse Teil der Gesellschaft, einschließlich des Militärs und der Bürokratie, stilisieren diese Wahlen schon jetzt zu einer Entscheidungsschlacht um den Erhalt des laizistischen Staates.

Da die regierende AKP eine genügend große Mehrheit im Parlament hat, um nach eigenem Gusto einen neuen Präsidenten zu wählen, wird seit Monaten darüber spekuliert, ob Erdogan selbst antritt. Auf dem Parteitag äußerte er sich nicht dazu. Ein paar Tage zuvor hatte er allerdings gesagt, der Präsident solle auf jeden Fall aus den Reihen des Parlament kommen, womit ein eher neutraler Kandidat nicht zum Zuge kommen könnte. Setzt die AKP bei den Präsidentenwahlen ihren Willen ohne Kompromiss durch, wird es in den folgenden Monaten eine beispiellose Mobilisierung der Laizisten geben, um die Mehrheit der AKP bei den Parlamentswahlen zu brechen. Das Hauptproblem des antiislamischen Lagers jedoch ist: Es fehlt eine Figur, hinter der sich alle sammeln können.

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