Ohne Robe Richter spielen

Es gibt Schöffen, die wollen nicht vor Gericht erscheinen. Und Schöffen, die wollen, dürfen aber nicht – wie im Fall einer jungen Muslima, die wegen ihres Kopftuches gehen musste

VON BENJAMIN WASSEN
UND NATALIE WIESMANN

Stellen Sie sich vor, Sie bekommen das Schöffenamt angeboten. Sie nehmen Ihre Bürgerpflicht ernst und sagen zu. Schließlich ist im Gesetz nur von zwölf Sitzungen pro Jahr die Rede. Und erst hinterher wird klar, dass eine Sitzung auch 127 Verhandlungstage haben kann. So erging es einem Mann aus Köln. Ab Ende des Monats muss er einem Prozess zum Kölner Müllskandal beiwohnen. „Das ist für diesen Mann natürlich eine unglaubliche Belastung, aber wehren kann er sich nach dem Gesetz nicht mehr“, erklärt Hasso Lieber, der Vorsitzende das Verbands ehrenamtlicher RichterInnen. Denn jeder deutsche Staatsbürger hat nicht nur das Recht, sondern im Zweifelsfall auch die Pflicht, das Schöffenamt zu übernehmen. Beim Urteilsspruch haben die Laienrichter dann das gleiche Stimmrecht wie die Berufsrichter. Ihren Verdienstausfall bekommen die Schöffen erstattet.

Alle fünf Jahre werden die Laienrichter gewählt. Die Kommunen stellen dafür eine Vorschlagsliste zusammen. Darauf müssen sich doppelt so viele Kandidaten finden, wie später bei Gericht ausgewählt werden. Wie die Kommunen ihre Liste füllen, bleibt ihnen überlassen. In manchen Gemeinden wird willkürlich aus dem Melderegister gepickt, andernorts können sich Kandidaten selbst melden oder die Ratsfraktionen werden um Vorschläge gebeten.

Eine Einschränkung gibt es laut Gesetz aber: die Vorschlagsliste soll alle Gruppen der Bevölkerung widerspiegeln. „Da häufig die Ratsfraktionen Vorschläge abgeben, ist diese Ausgewogenheit leider nicht immer gegeben,“ sagt Reiner Lindemann, der am Amtsgericht Moers die Auswahl der Jugendschöffen betreut. Denn die Politiker würden oft Personen aus ihrem Bekanntenkreis benennen. „Und dann haben wir als Schöffen meistens die typischen Bildungsbürger da sitzen. Ich würde es begrüßen, wenn zunehmend MigrantInnen ins Schöffenamt kämen.“

Eine wie Güler Tirlak zum Beispiel. Die türkischstämmige Schöffin hat in der vergangenen Woche aber schlechte Erfahrungen mit ihrem Ehrenamt gemacht. Sie war zu einer Verhandlung am Dortmunder Landgericht mit Kopftuch erschienen. Als sie sich weigerte, das Kopftuch abzulegen, wurde sie von der Verhandlung ausgeschlossen. „Durch das Kopftuch sah der Vorsitzende Richter das Vertrauen der Verfahrensbeteiligten in die Neutralität und Unparteilichkeit des Gerichts gefährdet“, erläutert die Pressesprecherin am Landgericht, Annedore Flüchter.

Die 29-jährige Schöffin war einfach nur baff. Schließlich hatte sie bei einem anderen Fall mit Kopftuch im Saal sitzen und urteilen dürfen. „Ich bin vor Gericht erschienen, um meiner Pflicht als deutsche Staatsbürgerin nachzugehen. Dass ich das nicht darf, verwundert mich schon sehr.“ Ob sie gegen den Richterspruch vorgehen wird, weiß sie noch nicht. Für Hasso Lieber vom Verband ehrenamtlicher RichterInnen ist die ganze Geschichte ein Skandal: „Es geht nicht, einen Schöffen ohne triftige Gründe einen Schöffen abzuweisen“, sagt er. Um jemanden als befangen zu erklären, müsse es klare Anhaltspunkte geben – „das ist bei einem Verfahren, der nichts mit Religion zu tun hat, unwahrscheinlich“. Lieber hofft, dass höhere Gerichtsinstanzen eine einheitliche Regelung schaffen: „Die Kopftuchträgerinnen müssen wissen, woran sie sind.“

Schöffenvertreter Lieber sorgt sich nicht nur um die Rechte der Migrantinnen unter den Laienrichtern. Er befürchtet, dass durch eine Reform der Strafverfahren „die Bevölkerung aus den Gerichtssälen ausgeschlossen wird.“ Denn das Instrument des Strafbefehls, bei dem Urteile schriftlich ergehen, soll ausgedehnt werden auf Prozesse am Landgericht. „Dann fallen eine Menge Verhandlungen weg. Und die Stimme der Bevölkerung kann nicht mehr gehört werden.“