Kurs auf den Kunstmarkt

URBAN ART Seit Graffito und Design zusammengehen, hat sich die Kunst von der Straße immer mehr Felder erobert. Berlin gilt als ihre Stadt – dem tragen der „Urban Art Award“ und eine Ausstellung im Stattbad Wedding Rechnung

„Was keiner wegdiskutieren kann – diese Bewegung hat sich als fester Faktor in der Kunstgeschichte etabliert“

EVOL

VON CARSTEN JANKE

„Unverbrauchte Event-Location in der Mitte Berlins“. So wurde vor ein paar Jahren noch Werbung für das Stadtbad in Wedding gemacht. Die Zahl der Übertreibungen in diesem Satz ist inzwischen etwas kleiner geworden. Eine „Event-Location“ ist das stillgelegte Schwimmbad heute auf jeden Fall. Und eine schöne. Aus Stadtbad wurde „Stattbad Wedding“, und in das urig-westdeutsche Schwimmbad ist eine Kunsthalle eingezogen.

Die verschrobene Wirkung der Kacheln ist enorm. Man möchte die Schuhe ausziehen, bevor man in den Barfußgang tritt. Auf dem vergilbten Weiß der Umkleidekabinen hängen Kunstwerke im Neonlicht. Hier eröffnete am Freitag die Ausstellung zu den „Ersten Internationalen Urban Art Awards“.

Urban Art, mit diesem Begriff wird seit ein paar Jahren versucht, das „Malen auf der Straße“ aus den verschiedenen Schubladen zu holen. Streetart, Graffito, Design, Objektkunst: Von allem ist im Stattbad etwas zu sehen. Es gibt filigrane Scherenschnitte, Fotos von Lichtperformances und auch fotorealistisches 3-D-Graffito. Vor den Augen der Zuschauer entsteht eine Kapelle von aggressiven Clowns als Schablonengraffiti.

Aus den Umkleidekabinen geht man durch einen düsteren Gang in das eigentliche Schwimmbad. Im leeren Becken spielt die Band Blue Mania Free Jazz. Drum herum werden Leinwände bemalt. Eine Bar schenkt aus, wo man früher sicher nicht mal seine Capri-Sonne trinken durfte.

Diese Ausstellungseröffnung scheint ein gelungener Abschluss für ein erfolgreiches Jahr in der Urban Art Szene. 2010 gab es die ersten Kunstmessen in diesem Bereich, außerdem Filme, internationale Ausstellungen, Award-Verleihungen. Der Schablonenkünstler Boxi stellte in Los Angeles und London aus. Evol gestaltete den deutschen Pavillon bei der Expo in Schanghai. Die Etablierung der Urban Art im Kunstbetrieb scheint gelungen.

„Die Anerkennung für Streetart ist gut hier in Berlin, aber verkaufen wirst du nie etwas“, so nüchtern sieht das Yves Suty, Gründer und Jury-Mitglied von Artaq, der Organisation hinter der Urban Art Awards im Stattbad. „Viele Künstler wollen nach Berlin kommen, weil sie in der ‚Stadt der Streetart‘ sein wollen. Sie wollen hier ausstellen, denn für Leute in Frankreich liegen die Wurzeln von Streetart hier.“ Geld verdienen ließe sich damit allerdings nicht. Ist der befürchtete „Ausverkauf“ einer Underground-Kunstrichtung an Berlin vorbeigegangen?

Gut mit dem Hype geschwommen

„Ich bin auf jeden Fall mit dem Hype gut mitgeschwommen“, sagt Just vom Justblog. Zusammen mit anderen betreibt er den bekannten Blog für Urban Art im Internet und ist außerdem freischaffender Fotograf. Er wurde dieses Jahr oft gebucht und kann inzwischen sein Geld verdienen mit beeindruckenden Fotografien von Urban Art Aktionen.

Auch Christian Heinicke, Designer und Urban-Art-Künstler, sieht das so: „Es gab so viele kommerzielle Projekte wie noch nie in diesem Jahr. Ich denke, dass die Welle jetzt auch bei jedem angekommen ist.“ Als Grafiker arbeitet Christian in der Künstlervereinigung Klub 7 mit und verdient sein Geld mit Grafikgestaltung für Firmen. Auch war er Mitherausgeber des Buchs „Street Art: Die Stadt als Spielplatz“. Der Klub 7 hat dieses Jahr das Spielkasino am Alex gestaltet und eine Textilkollektion mit Streetart-Motiven für die Bekleidungsmarke New Yorker entworfen.

Aber lässt sich von diesen Einzelfällen auf das Ganze schließen? Just blickt zurück: „Von allen Galerien, die ich so kenne oder kennengelernt habe in den letzten Jahren, von denen gibt’s heute keine mehr. Einfach aus dem Grund, weil die nichts verkauft haben.“ Urban Art wird immer noch als Geschenk gesehen. Was es auch umsonst gibt, muss man ja nicht kaufen. Da sind all die Wandtapeten, Armbanduhren und Postkarten, die mit Streetart-Motiven von der Straße verkauft werden, ohne dass die Künstler etwas verdienen würden. Doch nicht diese Weiterverwertungen verhindern das Geschäft, sondern dass es hier immer noch keine Infrastruktur für die Künstler der Urban Art gibt.

Doch auch das sehen viele der Beteiligten gelassen. Evol bremst die Erwartungen, wenn man ihn auf seinen Erfolg beim Expo-Pavillon in Schanghai anspricht: „Ich glaub, es hört sich schon gut an im Lebenslauf. Aber letztendlich war es egal. Was tatsächlich passiert und was keiner wegdiskutieren kann – dass sich diese Bewegung als fester Faktor in der Kunstgeschichte etabliert.“

Christian Heinicke sieht das ähnlich: „Heute wird viel mehr gemacht als früher.“ Beachtenswert findet er zum Beispiel die Brandwandfassaden, die von Künstlern wie Blu oder OsGemeos in Berlin gemacht wurden: „Das hat in diesem Jahr eine ganz neue Dimension angenommen. Dadurch verändern sich ganze Ansichten von Stadtvierteln.“ Auch Just bleibt gelassen: „Dass du in Berlin viel Streetart findest, ist, glaub ich, erst in der diesjährigen Ausgabe des Lonely Planet angekommen. Von daher werden zumindest die Touristen noch ein paar Jahre nach Berlin kommen.“

■ Links und Fotos zu diesem Text auf www.taz.de

■ „Urban Art Awards 2010“, im Stattbad Wedding, bis 12. Dezember. Am 10. und 11. Dezember wird live im Schwimmbad gemalt