NACHTBUS GEN WEDDING
: Die Henne in mir

„Darf ich mitkommen?“, fragte er und sah aus wie ein Küken

„Darf ich dir hinterherlaufen?“, fragte mich das alkoholisierte Jüngelchen und sah mich flehend an. Natürlich konnte ich nicht nein sagen. Es war nach dem Rösinger-Konzert im Hebbel-Theater. Gin Tonics hatte ich getrunken. Und mich gewundert, dass das Ja, Panik DJ-Team so viel Bob Dylan aufgelegt hatte. Über den Christiane Rösinger in dem großartigen sonntaz-Interview doch explizit gesagt hatte, er sei „ein übellauniger Knilch, der nur lächelt, wenn er die Leute mit seiner Mundharmonika quälen kann“.

Es war außerdem die Nacht, in der der Schnee kam. Und so war es praktisch, etwas betrunken zu sein. Es wärmt ungemein. Für das Jüngelchen war es nicht sehr praktisch. Es kam nicht von hier und hatte keine Ahnung, wie es zu seiner Nachtstatt in den Wedding gelangen konnte. Betrunken schon gar nicht. Nebeneinander standen wir auf dem verwaisten Gleis der U6. Die Leuchtanzeige war ausgeschaltet. Die letzte U-Bahn weg. „Darf ich mit dir mitkommen?“, fragte er und sah aus wie ein hilfloses Küken, mit seinen zerzausten Haaren und den bleichen Wangen. Die Henne in mir ließ ihn gewähren, den Nachtbus oder ein Taxi werde man schon finden und ja, ich wisse den Weg in den Wedding. Ganz sicher.

An der Nachtbushaltestelle in der Friedrichstraße und überhaupt die ganze Zeit erzählte mir das Jüngelchen von seinem Lehramtsstudium und der Musik, die es machen wolle. Mich interessierte das alles überhaupt nicht. Ich fragte mich bloß, wie man mit fast 30 noch immer den Eindruck eines waidwund-wabernden 17-Jährigen erwecken kann.

Im Nachtbus nahm ich die Mütze ab. Baff sah das Jüngelchen mich an. „Pelzmützchen, du hast ja ganz kurze Haare! Warum das denn!?“ Langsam begann er mich richtig zu nerven. „Find ich gut“, sagte ich knapp. Darauf er, nach einer kurzen Pause: „Na ja. Haare sind ja auch nicht so wichtig.“ KIRSTEN REINHARDT