Der ernsthafte Party-Patriot

DEUTSCHRAP Der Rapper Harris wird neuerdings als Integrationsvorbild gefeiert. Doch das ist ein Missverständnis

VON LUIS CRUZ

Schließt man die Augen, während man sich mit dem Rapper Harris unterhält, dann sucht man vergebens nach jenem ominösen „Migrationshintergrund“, den Politik und Medien ihm gern zuweisen. Übersieht man seine dunkle Hautfarbe und sein krauses Haar, dann ist er ein Deutscher wie jeder andere auch. Denn Harris spricht akzentfrei Deutsch, er berlinert. Der Berliner Dialekt ist neben seinem Deutschlandtattoo auf der Brust zu so etwas wie seinem Markenzeichen geworden.

Seit seinem Song „Nur ein Augenblick“ wird der selbst ernannte „Neudeutsche“ in der Öffentlichkeit als Integrationsbotschafter gefeiert. In diesem Stück ruft Harris integrationsfaule Ausländer dazu auf, sich der deutschen Gesellschaft anzupassen: Sie sollten sich gefälligst benehmen und die Deutschen respektieren, statt sie zu beschimpfen. „Du kannst hier nicht leben und alles schlechtreden“, heißt es da etwa kategorisch. Als wäre nicht gerade das ständige Herumnörgeln an allem und jedem eine typische Berliner Eigenart.

Nun aber gilt Harris plötzlich als einer jener Vorzeigemigranten, die die Schuld an Parallelgesellschaft und gegenseitigen Vorurteilen statt in der deutschen Gesellschaft endlich mal in den eigenen Reihen suchen. Die Zeit, der Stern und die „Tagesthemen“ berichteten über den 33-Jährigen, neuerdings posiert er sogar für die Integrationskampagne der Bundesregierung „Raus mit der Sprache“.

Kein schlechter Karrieresprung für einen Party-Rapper, der schon eine Weile im Berliner HipHop-Underground unterwegs ist. Bislang war Oliver Harris, wie er mit vollem Namen heißt, allerdings eher für humorvolle Sauf- und Kifferhymnen wie „Wo ist mein Gras?“ als für „Tagesschau“-Einspieler bekannt. Die Medienlawine, die der Party-Patriot mit seinem jüngsten Song ausgelöst hat, ist beachtlich. Zeilen wie „Egal ob türkisch, arabisch, afrikanisch oder indisch / wenn du nicht weißt, wo der Flughafen ist – ich bring dich“ werden nun zitiert, als hätte kein von der Bundesregierung berufener Integrationsbeauftragter es besser formulieren können. Es scheint, als sei seine Hautfarbe und der vermeintliche Migrationshintergrund Legitimation genug, um Dinge auszusprechen, die für andere tabu sind.

Es ärgert Harris allerdings, wenn manche Leute sagen: „Endlich mal ein Ausländer, der das sagt.“ „Die haben den Song nicht verstanden“, findet er. Denn Harris sieht sich selbst nicht als Ausländer oder Migrant: „Ich habe den Song als Deutscher geschrieben“, betont er. „Ich wollte mich als Deutscher einfach mal darüber auskotzen dürfen, dass einige Ausländer sich nicht integrieren wollen.“ Zugleich gibt er zu, als „Weißer mit blonden Haaren und blauen Augen“ hätte er sich den Song wohl verkniffen, denn dann wäre es „kein Phänomen mehr, sondern ein Skandal, dass jemand so was sagt“.

Dass Harris stolz darauf ist, ein Deutscher zu sein, stellte er in der Vergangenheit öfter zur Schau: ob nun in seiner Radiosendung „Der Patriot“, in der er ausschließlich deutschsprachigen Rap spielt, oder im 2003 veröffentlichten Video zum Song „Schöne Menschen“, in dem er sich Hosenträger im Deutschlandlook über die Schultern spannte. Pünktlichkeit ist ihm sehr wichtig. Sein Englisch kann er nur aus der Schule.

Ihm vorzuwerfen, er würde mit „Nur ein Augenblick“ lediglich auf den Zug der Sarrazin-Debatte aufspringen, greift zu kurz. Es wird auch durch die Tatsache widerlegt, dass das Video zu „Nur ein Augenblick“ schon vor über einem Jahr auf der Berliner Fanmeile während der Fußball-WM abgedreht wurde – also lange vor der neuesten Neuauflage der Integrationsdebatte.

Bleibt die Frage, ob dieser Mann, der seinen schwarzen US-amerikanischen Vater nie richtig kennengelernt hat, doch „nur“ ein Deutscher ist, der ausspricht, was ein Teil der deutschen Bevölkerung denken mag. Das Einzige, was Harris nach eigener Aussage mit den USA verbindet, sind „das Fressen und der Rap“, also: Hamburger und HipHop. Harris muss sich nicht integrieren: Er ist schlicht Deutscher. Das ist auch der Grund, weshalb sich viele Migranten nicht von Harris repräsentiert sehen, denn er spricht nicht in ihrem Namen. Anderen „Neudeutschen“ mit einer stärkeren Nähe zu ihrer zweiten Heimat und anderen Problemen wäre ein Song wie „Nur ein Augenblick“ daher sicher schwerer über die Lippen gegangen.

 Luis Cruz, 20, ist Musikjournalist