Editorial

Liebe Leserinnen und Leser!

Broder, Steinbach und Sarrazin in der taz – wie konnte das passieren? Wie konnte eine linke Tageszeitung ihnen eine Plattform bieten? Sie konnte. Genauer gesagt: Wir konnten.

Wir, das sind Marie-Claude Bianco, Alem Grabovac und Emilia Smechowski, zwei Praktikanten und eine Volontärin. Unsere „Migrationshintergründe“ liegen in Ruanda, dem ehemaligen Jugoslawien und Polen. Vor vier Wochen erwuchs aus der taz heraus der Wunsch, eine Sonderausgabe zum Thema Migration, Multikulti und Integration zu fertigen. Wir waren so frei: Das wollten wir selbst in die Hand nehmen. So wurden wir beauftragt, diese spezielle taz zu produzieren. Unser Arbeitstitel: „Made in Germany“.

An uns allein lag es, aus dieser publizistischen Möglichkeit unser Ding zu machen. Wir konnten GastredakteurInnen einladen, GastautorInnen – und wir waren es auch, die die Gestaltung der Seite 1 dieser Ausgabe letztlich zu entscheiden hatten.

Doch zuerst galt es, ein Konzept zu entwickeln. Ist in dieser Debatte nicht schon alles gesagt und geschrieben worden? Die einen pochen immer wieder darauf, die Diskriminierung der Migranten in den Vordergrund zu stellen, andere halten es für wichtiger, von erfolgreichen Migranten zu berichten. Ein Dilemma. Denn wir wollten weder eine Opfer- noch eine Helden-taz machen. Migrant ist nicht Migrant, und überhaupt: Ihr, die Deutschen, wir, die Migranten – auf diese Trennung hatten wir keine Lust mehr.

Die meisten von uns sind hier geboren oder leben seit Jahrzehnten in Deutschland und streiten, entscheiden, freuen und ärgern uns über dieses Land. Wir sind Deutsche, egal ob es euch passt oder nicht. Und egal ob es uns passt oder nicht.

Dass ein Henryk M. Broder einen Thilo Sarrazin interviewt, ist sicher für viele von Ihnen eine Provokation. Auch innerhalb der taz war diese Entscheidung sehr umstritten. Trotzdem – wir hatten uns vorgenommen, auch Meinungen ins Blatt zu holen, die ganz und gar nicht unsere, aber Teil der Debatte sind. Wir haben uns gefragt, ob sich Sarrazin einem Gesprächspartner mehr öffnet, der seine Thesen nicht ablehnt. Zugegeben: Es war ein Experiment. Das Ergebnis lesen Sie auf Seite 4/5.

Was Sie heute in den Händen halten, ist nicht nur das Ergebnis der vielen Autoren, Redakteure, Fotografen, der Werbeabteilung, der Layouter und der Chefredaktion.

Gestern waren 14 Redakteure in der taz, die sonst schauspielern, Bücher oder Lieder schreiben und Politik machen. Und was sollen wir sagen? Es hat uns Spaß gemacht, es war uns eine Freude – auch, weil die gewöhnliche taz-Redaktion wie auch alle anderen taz-Abteilungen uns sehr unterstützt haben.

Wenn Sie diese Ausgabe lesen, sollten Sie wissen: Sie ist keine Wohlfühl-taz. Das sollte sie auch nicht sein. Wir sind gespannt auf Ihren empörten Protest und Ihre überbordenden Liebesbriefe.