Liberté, Electricité, oje, oje

FRANKREICH Im Atomland werden die Reaktoren alt, störanfällig und teuer. Der Strompreis wird auch hier bald steigen, schon um den Rückbau des Kraftwerkparks zu finanzieren

FREIBURG taz | Bislang ist Strom in Frankreich noch extrem günstig: Haushalte bezahlen für ihre Elektrizität nur halb so viel wie in Deutschland. Doch auch die Franzosen beginnen zu erkennen, dass diese Preise nicht dauerhaft haltbar sind, weil sie die Kosten nicht decken. Eine von der Nationalversammlung ins Leben gerufene Enquetekommission „Kosten der Atomkraft“ nimmt sich nun des Themas an. Ihr Abschlussbericht wird für Juni erwartet.

Unverblümt zeigt bereits heute die Bilanz des Staatsunternehmens Electricité de France (EDF) die Lage: Der Atomkonzern ist mit 35 Milliarden Euro verschuldet, weil ihm die Betriebskosten der alternden Reaktoren davonlaufen. Notgedrungen steuert EDF nun gegen: In diesem und im vergangenen Jahr wurden die Preise für Endkunden um jeweils 5 Prozent erhöht. Allerdings ist das aus Sicht der französischen Regulierungsbehörde CRE noch zu wenig, um die wirklichen Kosten der Stromversorgung zu decken. Dafür wäre aus ihrer Sicht allein 2013 eine Preiserhöhung um 7 bis 10 Prozent nötig gewesen.

Im Atomland Frankreich treiben mehrere Faktoren die Stromkosten in die Höhe. Zum einen leidet der alternde Kraftwerkspark unter zunehmenden Pannen – und jeder Stillstand kostet viel Geld. Während es im Jahr 2012 zu 134 Betriebsunterbrechungen kam, schnellte die Zahl allein in den ersten zehn Monaten 2013 auf 882 empor. Die Anlagenverfügbarkeit sinkt seit Jahren und ist inzwischen unter 80 Prozent gefallen. Frankreichs Problem: Rund drei Viertel der bestehenden 58 Reaktoren gingen in den 1980er Jahren ans Netz. Diese werden nun gemeinsam alt und störanfällig, zumal in den letzten zehn Jahren kaum investiert wurde.

Teuer sind auch die Überkapazitäten. „Gut 40 der Anlagen laufen inzwischen im Lastfolgebetrieb“, sagt Mycle Schneider, Atompolitikberater in Paris. Das heißt: Sie müssen zeitweise heruntergefahren werden, weil niemand ihren Strom braucht. Schuld sind überzogene Verbrauchsprognosen aus der Vergangenheit. Und weil auch in Frankreich langsam die erneuerbaren Energien vorankommen, schrumpft der Absatzmarkt der Atommeiler weiter.

Immer deutlicher wird damit auch jenseits des Rheins, dass Atomstrom nicht so billig ist, wie die Atomwirtschaft lange Zeit glauben machen wollte. Und das betrifft eben nicht nur das Neubauprojekt Flamanville in der Normandie, dessen Kosten sich seit Baubeginn verdreifacht haben – auch der Strom aus Altreaktoren wird immer teurer.

„Von 2012 bis 2017 werden die Strompreise der EDF für Endkunden um 30 Prozent steigen“, sagt Schneider. Wahrscheinlich werde der französische Ökostromanbieter Enercoop noch vor 2017 billiger Elektrizität verkaufen können als EDF.

Aufgrund der Kostenexplosion in der französischen Atomwirtschaft mahnte die Nuklearsicherheitsbehörde ASN bereits in ungewohnter Deutlichkeit an, dass es an der Zeit sei, das endgültige Ende von Reaktoren zu planen – womit das Thema Rückbaukosten akut wird. Im Jahr 2010 hatte der Pariser Rechnungshof diese noch auf 31,9 Milliarden Euro geschätzt. Mittlerweile räumt man ein, dass das zu niedrig kalkuliert sein könnte. Die Enquetekommission forderte bereits, der Rückbau müssen mehr als bisher in die Stromkosten eingerechnet werden.

Unzureichend versichert

Zudem beklagt das Gremium das „unzureichende Versicherungssystem“, denn die Haftung der Kraftwerksbetreiber ist im Schadensfall auf rund 91 Millionen Euro beschränkt. Darin könne man eine Wettbewerbsverzerrung gegenüber anderen Formen der Energieproduktion sehen, so die Kommission, weil jeder Windpark, jede Solar- oder Wasserkraftanlage für seine Versicherungskosten vollumfänglich aufkommen muss.

Auch das ebenfalls heikle Thema Endlagerung kam dank der Enquetekommission zur Sprache: Im Jahr 2005 war der Rechnungshof noch von Kosten in Höhe von 16,5 Milliarden Euro ausgegangen. Inzwischen jedoch sickerten neue Kalkulationen durch, die sich auf 36 Milliarden belaufen. Wobei auch das natürlich nur Theorie ist, weil auch Frankreich noch über kein Endlager für die Atomabfälle verfügt.

Atomexperte Mycle Schneider sieht jedenfalls auf die Atomwirtschaft des Landes schwere Zeiten zukommen: Die EDF werde auf ihren Kraftwerkspark noch ganz erhebliche Sonderabschreibungen vornehmen müssen. BERNWARD JANZING