ALEXANDER LEVY
: Masse und Macht durch das Elektronenmikroskop betrachtet

Physik und Philosophie sind schon lange miteinander verknüpft. Das mag daran liegen, dass der Mensch, der sich viel mit Naturgesetzmäßigkeiten beschäftigt, nur schwer akzeptieren kann, ein Dasein zu fristen, das er niemals kontrollieren wird. Kontrolliert er doch die Welt oder zumindest einen Teil von ihr. Anders ist es mit Religionen, die füllen diese Lücke zwischen Nichtwissen und Wissen mit Glauben. Und so ist das einzig Religiöse in Felix Kiesslings Ausstellung „Ausdehnung“ ein winziges Steinkörnchen vom nördlichsten Punkt einer Kirche, die zu den größten von Menschen geschaffenen monolithischen Strukturen der Welt gehört. Sie entstanden in Lalibela, in Neu-Jerusalem im Norden Äthiopiens unter der Herrschaft eines Nachkömmlings König Salomons. Und so dehnt sich die winzige Masse, der quasi letzte Rest eines Welterbes, unter dem Elektronenmikroskop massiv aus. Die Relation verschiebt sich irrational. Das Zentrum von Kiesslings „Ausdehnung“ bilden jedoch 253,3 Liter Gesteinsmasse aus der Elbe. Doch nicht das Bergen der Masse, sondern die Berechnung der Senkung des weltweiten Wasserspiegels, der sich um etwa 6.53[-16]erhöht, scheint hier die größere Aufgabe gewesen zu sein. Kiessling dreht den Effekt um und verkleinert den massiv erscheinenden Eingriff in einen nicht mehr wahrnehmbaren. So werden Maßstäbe auch in Glauben und Philosophie erkennbar relativ. MJ

■ Bis 21. 6., Di.–Sa. 11–18 Uhr, Rudi-Dutschke-Str. 26