hartzrevisor rüttgers
: Der Verbalsoziale

„Das mutierende Ich“ nannte der Autor ein Kapitel. Schrieb über „Angebote zur Selbstbefriedigung und Selbstinszenierung“. Fürchtete, Menschen ohne „inneren Kompass“ würden sich nur noch als „Wahrgenommene“, nicht mehr als „Wahrnehmende“ begreifen. Der Autor dieser Gedanken ist heute Ministerpräsident von NRW. Ob Jürgen Rüttgers nun dem inneren Kompass folgt, wenn er die Lebensarbeitszeit zum Faktor fürs Arbeitslosengeld machen will?

KOMMENTAR VON CHRISTOPH SCHURIAN

Für die SPD-Opposition in NRW ist die Sache klar: Rüttgers inszeniert sich nur als volksnah, betreibt Taktik auf Kosten des Generationenvertrags. Die soziale Attitüde des Rheinländers sei ein Fake, nicht zuletzt beweise das die schwarz-gelbe Regierungspraxis am Rhein. Aber ist das wirklich die passende Antwort auf die Kampagne des aufstrebenden Föderalfürsten, der erst programmatische Bücher verfasste und dann Ministerpräsident wurde?

Nein. Rüttgers folgt tatsächlich einem inneren Kompass. Für eine scheinheilige Debatte geht er ein zu hohes Risiko: Wie steht er da, sollten weder CDU, noch Landesregierungen oder Große Koalition seiner Revision folgen? Antwort? So oder so als Mann mit einem Kompass.

Im Gewand des Verbalsozialen will Rüttgers nicht weniger als ein Gesellschaftsmodell durchsetzen – und dafür lohnt das Risiko. In seinem Buch von 2005 skizziert er die „Neue Moderne“, beschwört christlich-soziale Grundwerte für eine aktuelle Ordnungspolitik des Forderns und Förderns – doch zwischen den Zeilen werden Grundpfeiler des so genannten Sozialstaates geschleift. Einen davon nennt auch Rüttgers wehmütig Solidarität. Doch ist sie für ihn als Buchautor wie jetzt als Hartzrevisor „keine Einbahnstraße“. Dass das Solidarprinzip jedoch unaufhaltsam fällt, wenn einmal Leistungen abgezählt werden, wird Rüttgers wissen. Seine Neue Moderne ist keine Show, sondern Prinzip – die Werteordnung der jungen Alten. Die demographische Mehrheit.