„Lernen heißt auch verlernen“

Von A wie Abu Ghraib bis Z wie Zeitzeugen von 1945: Der „Schwarzmarkt für nützliches Wissen und Nicht-Wissen“ lädt zu 150 Erzählungen über Amerika ein. Berliner Experten erzählen im HAU ihr Wissen. Ein Gespräch mit der Kuratorin Hannah Hurtzig

INTERVIEW CHRISTIANE KÜHL

taz: Hannah Hurtzig, Sie laden zum fünften Mal zu einem „Schwarzmarkt für nützliches Wissen und Nicht-Wissen“ ein. Unter nützlichem Wissen kann sich jeder etwas vorstellen. Was aber ist nützliches Nicht-Wissen?

Hannah Hurtzig: Nicht-Wissen bezeichnet einerseits all das, was man sich als verdrängtes, unsichtbares, nicht repräsentiertes Wissen vorstellen kann. Andererseits bezieht es sich auf die Form der Vermittlung des Schwarzmarkts: Das ist die Erzählung. Sie hat etwas Persönliches und Informelles und wird nicht sofort mit Wissenstransfer in Verbindung gebracht; mit Wissen verbindet man Vorträge, nicht Erzählungen.

Der Schwarzmarkt wird als Installation angekündigt. Ist das Entscheidende nicht vielmehr, dass sich dort Menschen 1:1 gegenübersitzen und etwas aushandeln?

Stimmt, Installation beschreibt eigentlich nur das Setting. Ansonsten ist er eine Mischung aus Performance und Ereignis. Es wird das Bild eines kollektiven Ereignisses geschaffen. Durch die serielle Anordnung entsteht ein strukturiertes Bild der Masse bei einem gleichzeitig vollkommen unkontrollierten Prozess der Wissensaneignung und -vermittlung. Denn das, was in den Dialogen passiert, ist ein freier Wucherungsprozess.

Der aktuelle Schwarzmarkt „It’s a Bird! It’s a Plane! It’s Superman“ verspricht „Amerikanische Nahaufnahmen in 440 Dialogen“. Subversives Wissen ist da wohl weniger zu erwarten. Man hätte ihn auch Akademikermarkt nennen können: Es wird fast die gesamte Amerikanistik der HU, FU sowie die American Academy versammelt.

Für den amerikanischen Schwarzmarkt haben wir tatsächlich mal die Unis durchforscht. Aber dass Akademiker mitmachen, heißt ja nicht, dass sie einen akademischen Vortrag halten. Wichtig ist, dass insgesamt ein halluzinogener Zugang zum Thema gesucht wird. Wir haben ja auch Entrepreneurs, Künstler, Sportler etc. eingeladen. Was uns auch wichtig ist: dass das Wissen zu einem Thema immer schon vor Ort versammelt ist. Du musst nicht die weltbesten Sprecher zu einem Podium einfliegen. Du musst nur genau genug suchen, und du wirst lokal alles Wissen finden, das du brauchst.

Zum Amerika-Schwarzmarkt haben Sie 150 Experten eingeladen. Wie wurden die ausgewählt?

Man kennt vielleicht 20, und die empfehlen wieder andere. Es funktioniert also netzwerkartig. Das kostet Zeit: Wir haben uns mit jedem Einzelnen eine Stunde lang unterhalten und sein Thema eingekreist. Allein das dauerte zwei Monate.

Was macht jemandem zum Experten?

All diese Leute haben sich theoretisch, künstlerisch, sportlich mit dem Thema Amerika beschäftigt oder dort gelebt. Dazu müssen sie in der Lage sein, einen Ausschnitt ihres Wissens zu vermitteln. Panoramathemen funktionieren nicht gut im 30-Minuten-Format, Details schon.

Braucht man auch Storytelling-Qualitäten?

Die ergibt sich von selbst, wenn man die Metaebene verlässt. Wenn man weniger über etwas spricht als mit jemandem. Deswegen machen z. B. Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut gerne mit, weil die über ihre ausgefallenen Forschungsgebiete normalerweise nur fachsimpeln – ihr Wissen zu erzählen ist für sie eine ungewohnte Erfahrung.

Die vorherigen Schwarzmärkte hatten spezifische, leicht abwegige Themen; zuletzt in Warschau ging es um „gespenstisches Wissen“. Warum jetzt „Amerika“?

Das ergab sich aus einem Gespräch mit dem Berliner Literaturwissenschaftler Joseph Vogl in Wien. Es ist eigentlich eine Reaktion auf den müden, uns schon immer ermüdenden Antiamerikanismus, der gerade wieder startet.

Der ist doch schon vor fünf Jahren wieder gestartet!

Es kommen aber immer neue Wellen. Gleichzeitig gibt es wenig konkretes Wissen über das Land. Beim Schwarzmarkt kann man sehr Spezifisches erfahren. Von A wie Abu Ghraib – über das Carolin Emcke sagt, dass unsere Konzentration auf die enigmatischen Folterbilder die Auseinandersetzung mit dem System dahinter verhindert hat – bis Z wie Zeitzeugen. Da erzählt Christa Ronke, die 1945 in einer amerikanischen Offizierskantine in Berlin gearbeitet hat, wie das war mit den Befreiern. Und dazwischen gibt’s dann noch 138 Positionen.

Donald Rumsfeld hat einmal gesagt: „Wie wir wissen, gibt es bekanntes Wissen und Dinge, von denen wir wissen, dass wir sie wissen. Wie wir auch wissen, gibt es bekanntes Unwissen. Aber es gibt auch Unwissen, von dem wir nichts wissen.“ Wie würden Sie das als Expertin kommentieren?

Verdammt, da kann man nichts gegen sagen – hätte das nicht auch Dirk Baecker sagen können? Aber: Der Satz stimmt nur, wenn die Person, die ihn spricht, weiß, dass Wissensaneignung immer auch die Konfrontation mit den eigenen Vorurteilen ist. Lernen heißt auch verlernen.