ORTSTERMIN: BEIM ZWEITEN „SCIENCE SLAM“ IN HANNOVER
: Baggerbilder und Rattenmenschen

Ein Infektionsforscher setzt Salmonellen, mit denen Tumore bekämpft werden sollen, mit Action-Star Chuck Norris gleich

Noch bevor die Türen geöffnet werden, drängt sich eine Menschenmenge vor den Türen des „Pavillons“ – dem heftigen Schneefall zum Trotz. Schon der erste Abend der Reihe „Science Slam“ war ein Erfolg, aber diesmal wird der Saal mit insgesamt 600 Besuchern brechend voll werden.

Etappenweise sollen bei diesen „Slams“ die Finalisten für den großen Wettbewerb auf der Forschungsmesse „IdeenExpo“ im September 2011 ermittelt werden. Das Konzept ist denkbar einfach: Höchstens zehn Minuten lang sollen die Kandidaten ihren naturwissenschaftlichen oder technischen Forschungsgegenstand referieren, und das möglichst unterhaltsam. Eine willkürlich berufene Jury vergibt bis zu zehn Punkte.

Das Moderatorenteam – Andreas Kuhlage vom NDR und der Poetry-Slammer Jan Egge Sedelies – ist in seiner Personalunion von Geek und Rampensau perfekt für die hier beanspruchte spaßige Wissenschaftsvermittlung: „Habt ihr total Bock auf Erkenntnisgewinn?“

Der Laserforscher Sascha Skorupka illustriert in seinem Vortrag über ultrakurze Laserpulse, was „ultrakurz“ eigentlich bedeutet, und kalauert sich durch die Photophysik.

Matthias Kahle, Fernwärme-Forschungszentrum der FH Hannover, zeigt, was man bei der Verlegung von Gasrohren alles falsch machen kann: Draufspringen etwa, Gleisschotter auf die Rohre werfen, Versorgungsleitungen durchfräsen. Aus Zeitgründen kommt er aber nicht mehr dazu, das Ziel seiner Arbeit zu erklären: die Bauzeiten auf ein paar Stunden zu verkürzen. Immerhin sorgt seine Fotoserie kleiner und noch kleinerer Bagger für Lacher.

Dann erklärt die Chemikerin Nina Ehlert von der Leibniz-Universität Hannover, wie sie neuartige Mittelohr-Prothesen entwickelt, die dank Antibiotika-Depots sogar gegen Entzündungen helfen. Sie demonstriert, wie sich Fachjargon ins Verständliche übersetzen lässt: Zu „nanoporösen Silikaten“ sagt sie „Sand mit Löchern“, den „Dip-Coater“ zur Beschichtung der Prothesen illustriert sie mit dem Bild eines in Salsa gestippten Nachos. Auch das „Cholesteatom“ – eine knorpelige Geschwulst im Mittelohr – hätte sich wohl keiner der Anwesenden gemerkt, wäre dazu nicht ausgeführt worden, es sei „ziemlich eklig“ und könne sich „bis ins Gehirn durchfressen“.

Der Braunschweiger Infektionsforscher Christian Stern setzt in seinem Vortrag Salmonellen, mit denen Tumore bekämpft werden sollen, mit Actionfilm-Star Chuck Norris gleich: Beide seien „tödlich“, „wehrhaft“ und könnten ohne Sauerstoff überleben. Für die zuweilen alberne Analogie vergibt die Jury sechsmal die Höchstwertung.

Ohne Powerpoint kommt nur der letzte Vortrag aus – das Oberthema: nichts Geringeres als die Liebe. Der Forscher Mathias Rhein ereifert sich in einer flammenden Stehgreif-Rede über Epigenetik – die Frage, wie sich unser Genmaterial durch Lebenswandel, Erziehung oder Ernährung konkret ausprägt. Es zeigt sich, dass auf diesem Podium auch das wissenschaftliche Weltbild eine Chance hat, zumal, wenn es mit Selbstironie und Nerd-Humor daher kommt: „Ratten sind schließlich auch nur kleine Menschen.“

Als Sieger geht mit 77 von 80 möglichen Punkten Infektionsforscher Stern hervor. Die Bronzeauszeichnung verspricht er in seiner WG auf den Küchenschrank zu verbannen. ANWEN ROBERTS