Scharlatanerie im Netz

Tote und Milliarden-Schäden: Arzneimittelfälschungen sind zu einem globalen Problem geworden

VON THORSTEN DENKLER

Ein Pille ist leicht herzustellen: Etwas Kartoffelstärke und eine Tablettenpresse reichen und kein Arzt der Welt kann auf Anhieb sagen, ob da ein echtes Medikament in seinen Händen liegt oder ein Plagiat. Arzneimittelfälschungen haben sich zu einem globalen Problem entwickelt. Die US-Amerikanische „Food and Drug Administration“ beziffert den Markt für gefälschte Arzneien auf 35 Milliarden Dollar weltweit. Experten rechnen mit einem Anstieg des Umsatzes bis zum Jahr 2010 auf 75 Milliarden Dollar.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat gestern in Bonn eine Task-Force ins Leben gerufen. Sie soll Instrumente entwickeln, mit denen Medikamentenfälschern das Handwerk gelegt werden kann.

Kein leichtes Unterfangen. Die WHO schätzt, dass heute die Hälfte der über das Internet bezogenen Medikamente keine Originale sind. In Entwicklungsländern liege die Quote bei 10 bis 30 Prozent. Das hat tödliche Folgen. In Kambodscha starben im Jahr 2000 mehr als 30 Menschen, weil sie ein gefälschtes Malaria-Mittel eingenommen hatten. In Nigeria starben im Jahr 1990 mehr als 100 Kinder, weil ein krimineller Pharma-Fälscher ihren Hustensaft mit billigem Frostschutzmittel gestreckt hatte.

In Europa liegt der Plagiat-Anteil laut WHO bei etwa 1 Prozent. Daniela Bagozzi, bei der WHO in Genf für Medikamentensicherheit zuständig, warnt dennoch: „Fälschungen sind auch ein europäisches Problem.“ Das belegen neueste Zahlen der Europäischen Kommission. Im vergangenen Jahr wurden 500.000 Packungen mit gefälschten Präparaten an den Außengrenzen der Europäischen Union sichergestellt.

Der Bonner Pharmakologe Harald Schweim, ehemaliger Präsident des Bundesinstitutes für Arzneimittel und Medizinprodukte, geht von einer enormen Dunkelziffer auf: „Was an den Grenzen sichergestellt wird, dürfte maximal 10 Prozent der Menge ausmachen, die tatsächlich in die EU gelangt.“

In Deutschland gibt es Hinweise, dass auch hier der Handel mit gefälschten Medikamenten blüht. Das Bundeskriminalamt zählte zwischen 1996 und 2002 noch 28 Fälschungsfälle, 2004 ist die Zahl auf 41 gestiegen. Klingt überschaubar. Aber, sagt Pharmakologe Schweim: „Hinter jedem Fall können Hunderttausende von Verpackungen stecken.“

Die Fälscher haben vor allem teure Lifestyle-Präparate im Sortiment: Viagra etwa oder muskelaufbauende Anabolika. Sie schrecken aber auch vor Krebsmedikamenten nicht zurück. Von Glück kann da noch reden, wer eine Totalfälschung schluckt. Diese Produkte sind medizinisch nicht zu beanstanden, aber selten anzutreffen. In der Regel enthalten die Plagiate zu wenig, qualitativ schlechte oder auch gar keine Wirkstoffe.

Das Internet bietet den Fälschern alle Möglichkeiten, ihre Produkte an die Patienten zu bringen. Dagegen gilt der hoch regulierte Apothekenmarkt in Deutschland als sicherster der Welt. Doch auch hier nutzen Fälscher die Lücken im System.

Pharmaexperte Peter Behner von der Beratungsgesellschaft Booz Allen Hamilton hat das Problem der Arzneimittelfälschungen in Deutschland analysiert. Er vermutet, dass die legalen Vertriebswege über die Apotheken in weit höherem Maße betroffen sein könnten als bisher angenommen. Von den 2004 in Deutschland gehandelten etwa 1,4 Milliarden Medikamentenverpackungen seien lediglich 0,3 Prozent vom Apotheker auf ihre Echtheit überprüft worden. „Wir müssen von einer hohen Dunkelziffer ausgehen“, sagt Behner.

Pharmakologe Schweim glaubt nicht, dass die Apotheken das Problem sind. Eher ist es die Bundesregierung. Sie hat den unsicheren Medikamentenhandel über das Internet erlaubt. Diese Erlaubnis sollte sie besser „mit einem Federstrich“ zurücknehmen. Die Task-Force der WHO hält Schweim für bestenfalls interessant. Es habe immer wieder große Ankündigungen gegeben, aber selten Ergebnisse. „Das erwarte ich auch diesmal.“