Randfigur Motassadeq
: Kommentar von Christian Rath

Die Anschläge aufs World Trade Center und das Pentagon wurden in Hamburg vorbereitet. Doch Deutschland tut sich schwer, diese Terrorangriffe juristisch aufzuarbeiten. Denn die Haupttäter waren entweder tot, wie Mohammed Atta, ins Ausland untergetaucht, wie Said Bahaji, oder sie sind in US-Gewahrsam, wie Ramzi Binalshibh. Der deutschen Justiz blieben nur Randfiguren des Geschehens wie Mounir el Motassadeq. Ihm drohen nach der gestrigen Entscheidung des Bundesgerichtshofs bis zu 15 Jahre Haft wegen Beihilfe zum Mord.

Die Verurteilung Motassadeqs trifft sicher nicht den Kern des Unrechts der Anschläge von 2001. Der marokkanische Student, der anschließend nicht geflüchtet ist, hat den Attentätern nur ein paar Freundschaftsdienste geleistet. Wenn er überhaupt Mitglied der Terrorzelle war, dann jedenfalls ein Mitglied dritter Klasse, das nicht einmal die genauen Ziele der Anschläge kannte. Andererseits sind bei Anschlägen mit rund 3.000 Toten auch kleine Tatbeiträge keine Petitessen. Eine mehrjährige Haftstrafe ist also durchaus vertretbar – wenn Motassadeq wirklich von den terroristischen Zielen seiner Freunde wusste.

Genau bei dieser Beweisführung macht die deutsche Justiz leider keine glückliche Figur. Denn zwei fast parallele Fälle wurden letztlich höchst unterschiedlich entschieden. Im Falle des ebenfalls marokkanischen Studenten Abdelghani Mzoudi entschied das Hamburger Oberlandesgericht auf Freispruch, weil diesem keine Kenntnis von den Anschlägen nachgewiesen wurde. Bei Mounir el Motassadeq wurde diese Kenntnis unterstellt, obwohl er sie bis zuletzt bestritt. Beide Urteile hat der BGH gebilligt. Dem Gerechtigkeitsgefühl tut das weh, denn vermutlich ist eines der Urteile falsch.

Allerdings lässt sich dieses Missgeschick erklären. Der BGH prüft Urteile nur noch auf Rechtsfehler, die Beweiswürdigung der Vorinstanz hat er zu akzeptieren. Wenn nun zwei verschiedene Gerichte einen ganz ähnlichen Sachverhalt unterschiedlich beschreiben, kann selbst der BGH nicht harmonisierend eingreifen. Positiv gewendet kann man sagen, dass die divergenten Urteile zeigen, wie unabhängig die deutsche Justiz ist.