Am Rande der Zivilisation

AKTIVURLAUB Ostfriesland will sich nicht nur als Region für Radfahrer profilieren, auch für das Kanuwandern gibt es eine außergewöhnlich gute Infrastruktur. Zusammengeführt wird beides in dem Angebot „Paddel und Pedal“, mit dem das Binnenland versucht, den Inseln die Urlauber abspenstig zu machen

■ Die Deutsche Fehnroute führt zirka 180 Kilometer durchs ostfriesische Binnenland. Mühlen, Moorlandschaften, romanische Kirchen. Auch zu Ferienzeiten nicht überlaufen oder überfahren.

■ Die Dollardroute führt 300 Kilometer durch das ostfriesische Rheiderland und die niederländischen Provinzen Groningen, Eemsmond und Lopperum. Spektakulär wegen der Natur und den Fährtranfers Eemshaven – Borkum und Ditzum/Emden – Delzijl.

■ Der Emswanderweg führt zirka 350 Kilometer von Emden nach Stukenbrok bei Bielefeld entlang der Ems. Wenn die Ems kein Schiffahrtsweg mehr ist, kann sie sogar idyllisch sein. Streckenweise nervig, wenn’s nur an Kanälen lang geht. Ab Münster geht’s bergig weiter.

■ Der Ostfrieslandwanderweg führt 70 Kilometer von Leer an die Küste nach Bensersiel. Ein idyllischer Radwanderweg, den man nicht an einem Tag durchknallen sollte. Schon deswegen nicht, weil in Bagband die einzige private Bierbrauerei wartet.  SCHUMI

Lange galt das Land zwischen Oldenburg und Nordseeküste als Transitland. Weitgehend von industrieller Entwicklung und Tourismus abgeschnitten, bretterten die Autokarawanen durch die vermeintliche Einöde so schnell als möglich zu den ostfriesischen Inseln. Das hat sich grundlegend geändert.

Der Grund dafür sind urzeitliche Fahrgelegenheiten wie Fahrrad, Kanu und Kajak. Dabei braucht keiner einen harten Hintern, wenn man das etwa 3.500 Kilometer weite Radwegenetz in der Region kreuzen möchte. „Unsere Gäste sind zu 95 Prozent individuell reisende RadfahrerInnen. Sie informieren sich, planen ihre Routen selbst. Als wir das begriffen haben, wussten wir, wie Radtourismus funktioniert“, sagt Ulrich Schmunkamp, Koordinator der großen Radrouten bei der Touristik GmbH Südliches Ostfriesland.

Seit etwa 20 Jahren versuchen Städte und Gemeinden im ostfriesischen Binnenland, der Küste und den Inseln Gäste abzujagen. Sie wuchern mit ihrem Pfund: Die Inseln sind überlaufen, teuer und man kann nicht so einfach weg. Das Binnenland dagegen bietet viele Möglichkeiten: interessante Städte, historische Dörfer, Naturparks, Wald-, Wiesen- und Moorlandschaften und Flussauen. Wer dann auch noch ans Meer will? Kein Problem, nirgendwo in Ostfriesland ist man weiter als 80 Kilometer von der Nordsee entfernt. Tagestrips auf die meisten Inseln sind jederzeit möglich.

Von Rad und Kanu profitieren die kleineren Gemeinden wie Rhauderfehn, Rheiderland, Krummhörn und Uplengen. Denn neben den großen Radwanderwegen wie die Fehnroute, die Dollardroute und den Nordseeküsten-Radweg gibt es viele lokale Mottostrecken, die in drei bis vier Tagen bequem in die entlegensten Ecken der ostfriesischen Halbinsel führen. Die Mottos lauten beispielsweise: „Wasser und Weite“, „Gärten und Schlösser“, „Alte und neue Häfen“, „Seeräuber und Häuptlinge“. „Auf allen Strecken gibt es guten Service und interessante Übernachtungsangebote vom sanierten Arbeiterhaus bis zum Hotel. Der Radtourismus ist ein wichtiger wirtschaftlicher Schwerpunkt der Region. Einheimische und Gäste nutzen gleichermaßen dieses Angebot“, sagt Ulrich Schmunkamp.

In Ostfriesland hat man für dieses Radwegenetz weniger neue Radwege sondern die alten landwirtschaftlichen Arbeitswege erschlossen. Meist fern von Land- oder Bundesstraßen fährt man abseits der Touristenzentren und ist doch nie weit von der Zivilisation entfernt. Dabei braucht man sich nicht an die offiziellen Routen zu halten. Ob man tagelang große Routen abklappern will, oder in Tagestouren von einem festen Standort aus die Gegend erkundet, alles ist bestens ausgeschildert.

Service, Fahrradtaxis, Gepäckbeförderung und vor allen Dingen nahe Übernachtungsmöglichkeiten in allen Kategorien sind in Pedaltritt und Paddelnähe. Der Kick: Radeln ist mit Kanooing verbunden. „Paddel und Pedal“ (P&P) heißt die Idee. Die Wasserlandschaft Ostfriesland ist bespickt mit P&P Stationen, an denen man vom Rad ins Kanu oder Kajak steigen kann oder umgekehrt. Alle Fahrzeuge können geliehen werden, die Boote sind mit Schwimmwesten, Wegbeschreibung und wasserdichten Packhüllen ausgestattet.

Da die meisten Paddelstrecken ausgewiesen sind, können sie locker auch von Anfängern oder Familien mit Kindern entspannt gefahren werden. Die gewünschten Gefährte werden zu den jeweiligen Einstiegsstellen transportiert. Überhaupt ist bei den meisten größeren Radrouten ein Gepäcktransport buchbar.

Paddler sollten sich allerdings nicht verführen lassen, während der Fahrt auszusteigen, um zu baden. Die Gewässergüte in Ostfriesland ist durchgehend schlecht bis bedenklich. Die Flüsse, etwa die Leda und Jümme, sind Tide abhängig. Die Strömungen sind nach den Ausbaggerungen in der alles verbindenden Ems für die Luxusliner der Papenburger Meyer Werft lebensgefährlich. Es gibt aber genügend Kiesseen, die offiziell zum Baden freigegeben sind.

Wer auf den Flüssen paddelt muss sich unbedingt über die Ebbe- und Flutzeiten informieren. Ein Paddeln gegen die Strömung ist schwer möglich. Mit der jeweiligen Strömung ist das Bootjefahren – diesmal ganz unpolitisch – aber ein Genuss. THOMAS SCHUMACHER