Zeit geben und Standards setzen

Die Geisteswissenschaften darben – vor allem in Berlin. Noch mehr als Geld brauchen die Forscher größere Zeitbudgets. Auch an maßgeschneiderten Fördermitteln fehlt es. Dazu müssen messbare fachliche Standards entwickelt werden

VON LARS KLAASSEN

„An vielen geisteswissenschaftlichen Studiengängen ist eine Unkultur der Halbbildung entstanden“, sagt Ulrich Herbert. „Da werden Massen von Studierenden durch die Hochschulen geschleust. Die können nichts, die wollen nichts – und die braucht auch keiner!“ Der Vorsitzende der Arbeitsgruppe „Geisteswissenschaften“ des Wissenschaftsrates provoziert.

Dass diese düstere These nicht ganz ernst gemeint war und die Betroffenen sich nicht ausschließlich in Fatalismus ergehen müssen, signalisierte Herbert auch: „Die Medien haben mittlerweile eine größere Wertschöpfung als die Autoindustrie. Und in solchen Dienstleistungsbranchen ist man auf die Studierenden aus den Geisteswissenschaften angewiesen.“ Diese Statements spiegeln die zweischneidige Stimmung in der Welt der Geisteswissenschaften – ein Wechselbad von Zuversicht und Notstandswarnungen.

Dass die Geisteswissenschaften nach wie vor eine bedeutende gesellschaftliche Rolle spielen, ist unumstritten – insbesondere mit Blick auf aktuelle politische Entwicklungen: „Wer die Zukunft der Nationen Europas gestalten will, muss deren Gemeinsamkeiten, aber vor allem deren unterschiedliche kulturelle und politische Identitäten kennen“, so Michael Göring, Vorstandsvorsitzender der Zeit-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius. „Die Geisteswissenschaften brauchen dafür nicht viele, aber verlässliche Mittel.“ Orte der Ruhe und viel Zeit für die geisteswissenschaftliche Arbeit sind wichtige Forderungen. Deshalb lege die Bundesregierung 2007, im „Jahr der Geisteswissenschaften“, neue Förderinstrumente auf, betont Frieder Meyer-Krahmer, Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung. Schon jetzt erhielten die Geisteswissenschaften rund 550 Millionen Euro Förderung jährlich, etwa die Hälfte davon komme vom Bund.

Der Wissenschaftsrat bescheinigte den Geisteswissenschaften in Deutschland zu Beginn des Jahres zwar eine hohe wissenschaftliche Qualität und ein hervorragendes internationales Ansehen, aber neben solch guten Noten gibt es auch deutliche Mahnungen. „Viele Universitäten lassen ihren Laden führungsschwach dahindümpeln“, kritisiert Wolfgang Herrmann, Präsident der Technischen Universität München. Die Folgen: Wenn Hochschulen sich ihrer wachsenden Autonomie noch nicht gewachsen zeigen, fehlt es den Geisteswissenschaftlern an Personal und Profil. Der wissenschaftliche Nachwuchs sieht einer ungewissen Zukunft entgegen. Angesichts der rapide steigenden Studierendenzahlen verschlechtert sich die Betreuung in der Lehre dramatisch, weil keine neuen Stellen geschaffen werden.

An Geld fehlt es nicht zuletzt deshalb, weil die bisherigen Förderinstrumente nicht auf die Strukturen geisteswissenschaftlichen Arbeitens zugeschnitten sind. Gerade Orchideenfächer können weder mit Drittmitteln noch mit großen Studierendenzahlen aufwarten. Aber gerade daran sind Fördermittel häufig geknüpft. „Wir müssen fachliche Standards entwickeln, anhand deren sich auch Geisteswissenschaften messen lassen“, fordert Sybille Krämer vom Philosophischen Institut der Freien Universität Berlin und Mitglied der Wissenschaftlichen Kommission des Wissenschaftsrates. „Dann lassen sich auch passende Förderkriterien entwickeln.“ Wie die „großen“ Fächer wieder stärker gestalten können und die „kleinen“ vor allem überleben sollen, wird in den kommenden Monaten noch weiterdiskutiert.

Eine Reihe von Konferenzen wird Einzelaspekte aufgreifen und vertiefen. Die Veranstaltungsreihe ist Teil der 2005 gegründeten Initiative „Pro Geisteswissenschaften“. Sie ist ein gemeinsames Angebot der Fritz Thyssen Stiftung und der Volkswagen-Stiftung in Zusammenarbeit mit der Zeit-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius und dem Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft. „Pro Geisteswissenschaften“ und umfasst drei Komponenten.

Unter anderem sollen Inhalte und Stellenwert der Geisteswissenschaften einer breiteren Öffentlichkeit vermittelt werden. Deshalb werden größere Konferenzen, aber auch kleinere, themenspezifische Workshops gefördert. „Dilthey-Fellowships“ richten sich an exzellente junge Forscherinnen und Forscher nach ihrer Promotion, die mit ihrem – längerfristigen und unter Umständen risikoreichen – Vorhaben den Geisteswissenschaften neue Gebiete erschließen wollen. Wer herausragende wissenschaftliche Arbeit leisten und ein größeres wissenschaftliches Werk zu einem anspruchsvollen Thema verfassen möchte, kann durch eine „Opus magnum“-Förderung die notwendigen Freiräume über die Finanzierung einer Lehrvertretung erhalten.