Ein Blick hinter die halb offene Tür

KLASSIK-FOLK Die kurdische Sängerin Sakina wirft mit dem Trio Mara einen weiblichen Blick auf die Tradition der Dengbej-Barden

Erst spät hat sie zur Musik gefunden. In ihrem ersten Leben war Sakina Teyna in der Türkei politisch aktiv. Anfang der Neunzigerjahre arbeitete sie am „mesopotamischen Kulturzentrum“ in Istanbul. Es waren die dunklen Jahre, in denen der Krieg zwischen der PKK und dem türkischen Staat eskalierte, die Zeit der Todesschwadrone und des Terrors, als die Zahl der ungeklärten Morde in die Zehntausende ging. „Viele Freunde von mir sind damals in die Berge gegangen“, sagt Sakina Teyna. „Am Ende auch ich.“

Nach einer abenteuerlichen Fluchtodysee lebt sie heute in Europa. „Ich wollte etwas Neues machen“, sagt sie. „Und es war immer mein Traum, mit anderen Frauen zusammenzuarbeiten“. 2011 gründete sie deshalb mit zwei klassisch ausgebildeten Musikerinnen das Trio Mara. Die Pianistin Naze Isxan und die Geigerin Nure Dilovani sind Cousinen und mit Sakina schon lange befreundet. Doch die Zusammenarbeit ist nicht ganz einfach, denn die eine wohnt in Bielefeld, die andere in Frankfurt und Sakina inzwischen in Düsseldorf.

Trotzdem haben sie es geschafft, ein gemeinsames Album aufzunehmen. Es heißt „Deri“, das Cover zeigt eine Tür, die sich einen Spalt breit öffnet. Sakina Teyna will das symbolisch verstanden wissen, als Blick in eine verborgene Welt: „Bis vor 70 oder 80 Jahren durften kurdische Frauen nicht in der Öffentlichkeit singen, aus Gründen der Tradition und der Religion“, sagt sie. Mit dem Trio Mara will sie an das Erbe der Dengbej anknüpfen, wie die Sänger der überlieferten Epen im Kurdischen genannt werden. „In ihren Liedern spielt sich die kurdische Geschichte wieder“, sagt Sakina. „Sie handeln von Konflikten zwischen Clans, Liebesgeschichten, Märchen und Legenden“. Diese Lieder waren männlichen Volksbarden vorbehalten. Dem Trio Mara geht es darum, die weibliche Seite der Geschichte zu zeigen.

„Mara“ bedeutet auf Zazaki, einer mit dem Kurdischen verwandten Sprache, „von uns“. Aber Sakina betont noch einen anderen Aspekt: „Mir war es wichtig, dass der Name einen weiblichen Klang hat.“ Aus dem Kontrast zwischen dem wohltemperierten europäischen Klavier und den rauen kurdischen Klageliedern bezieht das Trio Mara seinen besonderen Reiz.

Das Album ist auch in der Türkei erschienen, auftreten kann Sakina Teyna dort aber nicht. „Wenn ich in die Türkei reise, dann lande ich dort im Gefängnis“, weiß sie. Trotzdem verfolgt sie die Entwicklungen dort genau, die Gezi-Proteste im vergangenen Sommer wie auch Erdogans aktuellen Machtkampf mit dem Prediger Fethullah Gülen. Viele Kurden stehen aufseiten der Regierung, weil es unter ihr in der Kurdenfrage deutliche Fortschritte gab. Nicht so Sakina Teyna: „Ich habe kein Vertrauen in diese Regierung“, stellt sie fest. Ohnehin sei die Entspannung der letzten Jahre nicht allein Erdogans Verdienst. „Niemand hat uns das geschenkt, wir haben uns das erkämpft“.

■ Trio Mara: „Deri“ (Ahenk Müzik)