„Mord überall möglich“

Gefängnisse benötigen mehr Personal, sagt JVA-Leiter Sanker. Nur so könnten die Knackis beschäftigt werden

taz: Herr Sanker, ist ein Mordfall wie in Siegburg auch in anderen Justizvollzugsanstalten denkbar?

Sanker: Ja, natürlich. Das ist ein Zufall, dass Siegburg betroffen ist. Das hätte in fast jeder anderen bundesdeutschen Jugendstrafanstalt auch passieren können. Denn wir haben seit Jahren das Problem, dass die Personaldichte in fast allen Bundesländern zurückgefahren wird.

Die Bediensteten in Siegburg sind aber doch zur Zelle gerufen worden. Sind sie zu lasch vorgegangen?

Wenn man zu einem Haftraum gerufen wird, weil es laut geworden ist, dann kann man sich nicht vorstellen, dass ein Gefangener so brutal behandelt worden ist wie in Siegburg. Ich gehe an die Haftraumtür und sehe dann drei Personen, die wohlauf sind. Ein weiterer schläft. Da denkt man nicht gleich: Der könnte misshandelt worden sein.

Aber die Wärter kennen doch die Inhaftierten.

Natürlich kennt man seine Leute. Aber sie sind ja auch danach ausgewählt, dass sie einigermaßen zusammenpassen. Eigentlich sollten in Gemeinschaftshafträumen nur Leute einsitzen, die stabilisiert werden müssen, weil sie suizidgefährdet sind.

In NRW sollen künftig nur noch Zellenbelegungen mit zwei Personen möglich sein. Wird das etwas bringen?

Das ist vielleicht eine Möglichkeit, Wiederholungsfälle kurzfristig zu vermeiden. Grundsätzlich halten wir das nicht für die geeignete Maßnahme. Wir vom Bund der Strafvollzugsbediensteten favorisieren ganz klar die absolute Einzelunterbringung. Im Rahmen der Föderalismusreform ist die Gesetzgebungskompetenz für den Jugendstrafvollzug auf die Länder übergegangen. Die Länder müssen die Einzelunterbringung gesetzlich regeln. Die Gemeinschaftsunterbringung sollte nur noch bei Suizidgefahr möglich sein.

Sind auch die Haftbedingungen dafür verantwortlich, dass Menschen zu einer Tat wie in Siegburg fähig werden?

Was sich da in den Anstalten abspielt, ist ein Spiegelbild unserer Gesellschaft. Wir registrieren eine zunehmende Gewaltbereitschaft außerhalb der Gefängnisse, und die wird natürlich in die Einrichtungen hineingebracht. Und wenn ich dann Bereiche schaffe, die ich mit Personal selbst nicht kontrollieren kann, dann sind auch unter dem Gruppendruck Handlungsweisen möglich, die man sich normalerweise nicht vorstellen kann.

Wie reagieren die Strafvollzugsbediensteten auf die laut gewordene Kritik?

Die Bediensteten sind hoch motiviert und sensibilisiert. Aber der Personalabbau ist tatsächlich ein Problem, denn junge Häftlinge müssen beschäftigt werden. Wir haben immer gesagt: Die Jungs müssen von den Zellen runter.

Ist das nicht eine relativ schmale Argumentation: Nur weil denen langweilig war, wird ein Mensch gefoltert und umgebracht?

Nein. Je größer die Einflussmöglichkeit ist durch dritte Gefangene, desto weniger können wir steuern, was passiert.

INTERVIEW: BENJAMIN WASSEN