Ein historischer Wechsel

INDIEN Hindu-Nationalist Narendra Modi erzielt absolute Mehrheit. Die langjährige Regierungspartei verliert drei Viertel ihrer Sitze

Ein effizienter Verwalter, der aber antimuslimische Pogrome geduldet haben soll

AUS MULSHI LALON SANDER

Es war eine Wahl der Rekorde: Noch nie hat die Kongresspartei ein so schlechtes Ergebnis eingefahren, noch nie hat die hindunationalistische BJP ein so gutes erreicht. Indien steht nun vor einem historischen Regierungswechsel. Nach zehn Jahren an der Macht ist die Kongresspartei abgewählt. Bisher hatte sie 206 der 543 Parlamentssitze. Jetzt ist sie auf nur noch 45 abgestürzt. Kurz nach den ersten Hochrechnungen am Freitag musste sie ihre Niederlage bereits einräumen: Premierminister Manmohan Singh rief den BJP-Spitzenkandidaten Narendra Modi an, um ihm zu gratulieren.

Der Wahlsieg der BJP ist umso überwältigender: Die Partei und ihre Verbündeten erhalten im Parlament insgesamt 340 Sitze, eine sichere Mehrheit. Doch nicht nur das: Die BJP gewann in 283 Wahlkreisen und wäre eigentlich auf keine Verbündeten angewiesen, um eine Regierung zu bilden. Das ist seit 30 Jahren keiner Partei mehr gelungen.

Das überwältigende Mandat wird durch eine Rekordbeteiligung ergänzt: 66 Prozent der 814 Millionen Stimmberechtigten hatten sich an dem über sechs Wochen hinziehenden Wahlgang beteiligt – mehr als je zuvor.

Der historische Regierungswechsel hat mehrere Gründe: Nach zehn Jahren war die Kongresspartei wegen zahlreicher Korruptionsaffären, einem niedrigen Wirtschaftswachstum und hoher Inflation in die Kritik geraten. Ihre Abwahl war schon Wochen vor dem Bekanntwerden der Wahlergebnisse abzusehen.

Die BJP hat sich mit Modi dagegen das Image einer Partei des Aufschwungs gegeben und ihren Wahlkampf ausschließlich auf ihren Spitzenkandidaten ausgerichtet, der seit zwölf Jahren den wohlhabenden Bundesstaat Gujarat regiert und dort durch eine wirtschaftsliberale Politik für überdurchschnittliches Wirtschaftswachstum sorgte.

Deshalb ist der Wahlsieg in vieler Hinsicht auch ein persönlicher Sieg Narendra Modis. „Ab ki baar, Modi sarkar“ hieß der Slogan der BJP: „Diesmal eine Modi-Regierung“. Und die wird es nun wohl geben: Schon in wenigen Tagen soll der rechtskonservative Hardliner zum Premierminister ernannt werden. Modi meldete sich auf dem Kurznachrichtendienst Twitter: „Indien hat gewonnen. Es stehen gute Tage bevor.“

Modi gilt als effizienter und sauberer Verwalter. Mit billigem Land, guter Infrastruktur und milliardenschweren Steuervorteilen lockte er mehrere Großkonzerne ins Land. Beim Ausbau der Infrastruktur setzte er ebenfalls auf die Konzerne und überließ ihnen Straßenbau, Kraftwerke und den Betrieb von Sonderwirtschaftszonen. Der Reichtum seines Bundesstaates hat allerdings nicht alle erreicht. Bei der Armuts- und Hungerbekämpfung schneidet Gujarat vergleichsweise schlecht ab und Muslime sind überdurchschnittlich von Armut bedroht. Modi selbst, einem hindunationalistischen Hardliner, wird vorgeworfen, die antimuslimischen Pogrome in Gujarat im Jahr 2002 geduldet, wenn nicht sogar unterstützt zu haben.

Im neuen Parlament wird die BJP nicht nur besonders stark. Die Opposition ist auch noch sehr zersplittert. Die zweitgrößte Fraktion stellt die Kongresspartei mit ihren 45 Sitzen, gefolgt von zwei Regionalparteien aus Tamil Nadu und Westbengalen, die jeweils 37 und 34 Sitze erhalten. Die restlichen 87 Sitze teilen sich ein gutes Dutzend Parteien, darunter andere einflussreiche Regionalparteien, denen die BJP viele Sitze abgenommen hat.

Die neu gegründete „Partei des einfachen Mannes“, die noch 2013 zweitgrößte Kraft im Stadtparlament Delhis wurde und in mehr als 300 Wahlkreisen antrat, bekam nur 4 Sitze.

In der Kongresspartei herrschte am Freitag Sprachlosigkeit. „Modi hat dem Volk den Mond und die Sterne versprochen“, kommentierte ein Sprecher die Niederlage. „Und die Menschen haben ihm diesen Traum abgekauft.“ Schnell versuchte die Partei Kritik von ihrem „Chefwahlkämpfer“ Rahul Gandhi, einem Sprössling der Gandhi-Dynastie, abzuwenden. Nicht er sei abgelehnt worden, sagten mehrere Parteisprecher, sondern die bisherige Regierung, an der Gandhi aber nicht beteiligt gewesen sei. Dennoch gibt es auch aus den eigenen Reihen Kritik an dem 43-Jährigen, den viele für führungsschwach halten. Einige Parteimitglieder riefen bereits nach seiner populäreren Schwester Priyanka als Nachfolgerin.

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