Wer lügt, fliegt raus

AUS NÜRNBERG MAX HÄGLER

Wer Arbeit hat, darf ab sofort bleiben. So lautet das Urteil der Innenminister, die gestern bei ihrer Herbstkonferenz in Nürnberg das Bleiberecht geregelt haben. Während die Minister von einem „guten Tag für viele Menschen“ sprachen, äußerten sich Bundestagsopposition, Kirchen und Wohlfahrtsverbände enttäuscht.

Rund 200.000 Menschen in Deutschland leben rechtlich derzeit in einem sogenannten Duldungsstatus und sind ständig von Abschiebung bedroht. Auch wer von ihnen derzeit keine Arbeit hat, soll nach dem Beschluss der Innenminister bis Ende September 2007 vor Abschiebung geschützt sein. In dieser Zeit soll er auf Arbeitsplatzsuche gehen, um so die Voraussetzung für sein weiteres Bleiben zu schaffen. Familien mit mindestens einem minderjährigen Schulkind, die sich seit mehr als sechs Jahren in Deutschland aufhalten, bekommen ab sofort eine zwei Jahre gültige Aufenthaltserlaubnis, bei Singles verlängert sich der Mindestaufenthalt auf acht Jahre. Wer bleiben will, muss zudem ausreichend Deutsch sprechen und genügend Wohnraum vorweisen. Straftäter und Terrorverdächtige bleiben ebenso ausgeschlossen wie Geduldete, die sich vorsätzlich gegen ihre Rückführung gesperrt haben.

Noch am Dienstag hatte sich die Regierungskoalition unter Beteiligung von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) darauf verständigt, den Geduldeten zwei Jahre Zeit zu geben, Arbeit zu finden – also bis in den Sommer 2008. Den Unions-geführten Ländern ging diese Regelung zu weit. Vor allem Bayerns Innenminister Günther Beckstein (CSU) fürchtete eine zu starke Belastung der Sozialsysteme. Er hatte angekündigt, ein derartiges Bundesgesetz im Bundesrat zu Fall zu bringen.

Zwar wird auf Bundesebene weiter an einem Gesetzespaket zum Ausländerrecht gearbeitet, und auch das Bleiberecht soll dort geregelt werden. Die Innenminister waren sich aber einig, dass bis zur Verabschiedung eine Übergangsregelung – eben auf Länderebene – notwendig ist. Bis vorgestern Abend liefen deshalb „stundenlange, schwierigste Verhandlungen“ mit den SPD-regierten Ländern, berichtete Beckstein. Ohne Ergebnis allerdings.

Erst eine informelle Zweierrunde spät nachts zwischen Berlins Innensenator Ehrhart Körting (SPD) und Hessens Innenminister Volker Bouffier (CDU) brachte die Einigung, über die sich gestern beide „zufrieden“ äußerten. „Der heutige Tag ist ein guter Tag für alle Geduldeten“, sagte der Berliner Innensenator. Zwar werde die Regelung nicht alle zufriedenstellen, aber die Länder hätten weitgehend ausgeschöpft, was im Rahmen des geltenden Bundesrechts möglich sei. Auch Beckstein kann mit der jetzigen Lösung leben. „Die Verhandlungen haben gezeigt, dass wir handlungsfähig sind, auch wenn es anfangs gewaltig kracht“, urteilte der bayerische Innenminister, der noch bis zum Jahresende der Ressortrunde vorsteht.

Unklar ist, wie viele Menschen von der Regelung profitieren werden. Während Körting gestern davon sprach, dass theoretisch 100.000 Geduldete ein Bleiberecht bekommen könnten, nannte Beckstein „eine Zahl im niedrigen fünfstelligen Bereich“. All denjenigen, die die notwendigen Zeitkriterien nicht erfüllen oder die bis zum mühsam ausgehandelten Stichtag 30. September 2007 keinen Arbeitsvertrag vorweisen können, kündigten die Innenminister schnelle und konsequente Abschiebungen an. Ein Bleiberecht wird auch denen verweigert, die im Zuge des bisherigen Bleiberechtsverfahrens etwa bei ihrer Herkunft geschwindelt haben oder bei denen Anhaltspunkte für Extremismus vorliegen. Auch bei Straftaten über 50 Tagessätzen oder bei Verstößen gegen das Ausländerrecht wird abgeschoben. Dabei gilt bei Familien Sippenhaftung: Ist ein Familienmitglied straffällig geworden verlieren alle das Bleiberecht.