PETER UNFRIED NEUE ÖKOS
: Die beste Blutwurst von Hohenlohe

Mein Biofleisch esse ich schnell und still und hoffe, dass die Kinder nicht schimpfen. Das passiert, wenn man Werte vorlebt – sie kommen postwendend zu einem zurück

Beim Abendessen fragte man mich, was ein alter Freund so mache, mit dem ich gerade telefoniert hatte. Also antwortete ich wahrheitsgemäß: „Der plant einen Wettbewerb, welcher Metzger live die beste Blutwurst von Hohenlohe machen kann.“ Er ist Regionalbeauftragter von Slowfood. Offenbar macht man da so was.

Totenstille am Tisch. Vor allem in der Vegetarierecke.

„Blutwurstwettbewerb?“

Penelopes Stimme kam leicht von oben herab.

„Ist das überhaupt erlaubt?“

Penelope hat die anvisierten drei Monate ihres Vegetarierinnentests grade lässig überschritten. Fulltime-Vegetarier Adorno wedelte mit der Hand einmal um den Tisch, zeigte auf die Teller der Erwachsenen und sagte verächtlich: „Na ja, Penelope, ich sehe hier auch jemanden, der totes Tier isst.“

Es klang wie: Was willst du von denen erwarten?

Ich wollte ihnen erklären, dass es sich bei dieser Blutwurst um artgerechte Haltung von Schweinen auf Stroh handele, ausschließlich pflanzlich und gentech- und antibiotikafrei gefüttert, und dass die Transformation von Tier in Wurst ohne Geschmacksverstärker und Mischgewürze erfolge. Doch als ich grade ein zweites Mal das Wort „Blutwurst“ ausgesprochen hatte, sagte mir Adorno: „Das interessiert hier nun wirklich niemanden.“

Wir Erwachsene aßen dann schweigend und möglichst schnell unser klitzekleines Biowürstchen auf. Und waren froh, dass wir nicht noch schlimmer ausgeschimpft wurden.

Tja. Wir haben die Kinder mit den neuen Werten und Normen des elterlichen Über-Ichs konfrontiert – und sie verweigern diese Werte nicht etwa aus Trotz oder Rebellion, sondern leben sie. Während wir das beim Essen nur teilweise und damit in ihren Augen ungenügend tun. Somit sind sie nun rechtmäßig im Besitz der Moral, die sie dankenswerterweise aber nicht als heilige Über-Ich-Monstranz vor sich hertragen. Jedenfalls solange ich nicht über Blutwurst rede.

Ich dachte erst, das kann ja wohl nicht angehen, wenn sich die Rollenverteilung zwischen ausgewachsenen Eltern und 10- und 12-jährigen Kindern so verkehrt. Aber jetzt denke ich: Was soll’s, irgendwann tut sie das ja eh. So kann ich mich nicht erst im Altersheim an den gelebten Werten meiner Kinder orientieren. Und das gibt mir Orientierung und Sicherheit in unserer doch etwas wertunsicheren Gesellschaft.

Adorno hat inzwischen zwei seiner Freunde, deren Namen alle mit L anfangen, zur Annäherung an das Vegetariertum überredet. Erstaunlich. Der eine L aß bestimmt fünf Kilo Fleisch am Tag. Und Penelope hat eine Freundin fast geknackt. Wenn sie das Wort „Massentierhaltung“ ausspricht, kriegt die inzwischen das Zittern und schreit hysterisch: „Ich ess doch gar keine Chicken McNuggets mehr!“

Toll. Die kennen auch einfach Menschen, die noch für das Abenteuer des Neuen entflammbar sind. Ich dagegen kann meine Freunde nur begeistern, wenn ich fliege. Dann sehen die plötzlich ganz erleichert aus. Fast schon glücklich.

Der Autor ist taz-Chefreporter Foto: Anja Weber