Blasmusik gegen Bomben

LÄRM Weil Militärflieger über ihren Häusern dröhnen, fahren fünfzig Niederbayern mit der Linken nach Berlin – ins CSU-Ministerium. Damit auch ihr Bombodrom stillgelegt wird. Ein mühseliges Unterfangen

„Man hat uns hier verarscht!“

JOHANN KÄS VON DER SIEGENBURGER BÜRGERINITIATIVE ÜBER DEN BESUCH IM BUNDESVERTEIDIGUNGSMINISTERIUM

VON KIRSTEN KÜPPERS

Die Siegenburger haben angefangen, jedes Mal beim Luftwaffenamt in Köln anzurufen, wenn eine Beerdigung ansteht. Damit das Amt die Kampfflieger stoppt. Damit die Grabrede auf dem Friedhof am Ortsrand nicht im Fluglärm untergeht. Damit die Beerdigungsgesellschaft den Pfarrer überhaupt hören kann.

Denn es ist laut in Siegenburg in der Hallertau in Niederbayern. Der Ort mit seinen dreieinhalbtausend Einwohnern liegt in der Einflugschneise eines militärischen Übungsgeländes im Dürnbucher Forst. Von neun Uhr morgens bis zwölf Uhr mittags und von vierzehn Uhr bis siebzehn Uhr donnern Nato-Jagdbomber über den Wald. Der Krach, der mit diesen Kampfflugzeugen kommt, ist so ohrenbetäubend, dass die Kinder weinen. Dass die Garagentore des aufgeräumten kleines Orts und seiner acht Nachbargemeinden wackeln. Dass die Bauern auf dem Feld das Geknatter ihrer Mähdrescher nicht mehr hören. Dass überhaupt viele in der Gegend mittlerweile Hörprobleme haben.

Abwurf in die Badewanne

Es hat in Siegenburg sogar schon polnische Saisonarbeiter gegeben, die die Arbeit auf den Hopfenfeldern und den Spargeläckern hingeschmissen haben, weil sie das Getöse nicht mehr ausgehalten haben.

Auch der Hausverwalter Johann Käs konnte es nicht mehr ertragen: „Die terrorisieren uns mit diesem Lärm“, knurrt er. Er setzte eine Annonce in die Mittelbayerische Zeitung. Alle, die eine Bürgerinitiative gegen den Fluglärm gründen wollten, lud Käs zu einem Treffen ins „Bräustüberl“ ein. 24 Leute kamen.

Das war 1978, vor gut 32 Jahren. Käs ist inzwischen 72 und Rentner. Seine Bürgerinitiative hat mittlerweile rund 300 Mitglieder. Aber der Bombenabwurfplatz im Dürnbucher Forst ist immer noch da. Und das zeigt schon, dass so ein Kampf von Menschen gegen die Obrigkeit lange dauern kann.

Dabei haben Käs und die anderen sich angestrengt. Sie haben komplizierte Lärmmessgeräte in ihren Vorgärten aufgestellt, sie haben den Waldboden und das Grundwasser auf Ablagerungen untersuchen lassen, Briefe geschrieben, zuerst nach Bonn, dann nach Berlin, sie haben der Hallertauer Zeitung Interviews gegeben. Immer mehr Leute engagierten sich. Zeitweilig schien es, als sei in Siegenburg die Bürgerinitiative wichtiger als der Fußballverein.

Es gab ja auch immer neuen Ärger mit den Jagdfliegern. An manchen Tagen wurden mehr als hundert Einsätze geflogen. Nachts fielen Blitzbomben. Einmal ist eine Übungsbombe in das Dach eines Einfamilienhauses gekracht. Sie fiel durch den ersten Stock und landete in der Badewanne im Erdgeschoss. Ein andermal schlug eine Übungsbombe neben einer Bäuerin ein, die auf dem Kartoffelacker stand. Die Frau erlitt einen Schock. Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges steht das Gelände im Dürnbucher Forst unter der Verwaltung des US-Militärs. Immer wieder gibt es Gerüchte, die Amerikaner benutzten uranhaltige Munition. Auch das ist keine Information, die die Menschen hier ruhig schlafen lässt.

Ein paar Dinge konnte die Bürgerinitiative immerhin durchsetzen: zum Beispiel die Sache mit den Beerdigungen. Auch bei Hochzeiten dürfen die Siegenburger jetzt beim Luftwaffenamt anrufen. Zusätzlich zum Wochenende bleiben die Jagdbomber nun auch freitags und den ganzen August lang auf dem Boden. Überhaupt sind die Einsätze seit Ende des Kalten Krieges weniger geworden. Die Amerikaner fliegen immer seltener, in den vergangenen beiden Jahren nutzte nur die deutsche Luftwaffe das Gelände. Man kann sich fragen, was die Bürgerinitiative nach knapp 33 Jahren trotzdem dazu getrieben hat, auf der diesjährigen Jahresversammlung im Februar in der Mehrzweckhalle den Entschluss zu fassen: „Wir fahren nach Berlin!“

Aber es ist klar: Dauernde Lärmbelästigung befeuert die Angriffslust. Zudem haben die Siegenburger festgestellt, dass sie mittlerweile einfach alle guten Argumente auf ihrer Seite haben. Etwa, dass längst nicht mehr zu den Methoden moderner Kriegsführung gehört, was Soldaten im Dürnbucher Forst üben: das Abwerfen von Munition aus einem Flugzeug. In heutigen Kriegen werden zunehmend unbemannte Drohnen eingesetzt, ferngesteuert per Satellit. Auch hat der Bundesrechnungshof bereits 2007 die Bundesregierung aufgefordert, den Platz aufzugeben, da er für die geringe Nutzung mit jährlichen Kosten von mehr als 500.000 Euro viel zu teuer sei. Die Bundeswehr muss sparen. Und dass mit Karl-Theodor zu Guttenberg nun ein reformfreudiger Bayer im Verteidigungsministerium sitzt, lässt die Siegenburger zusätzlich Vertrauen fassen.

Ein paar schöne Lieder

Ganz bestimmt aber war auch der Überschwang der linken Bundestagsabgeordneten Kornelia Möller schuld an der Berlin-Fahrt. Die Linke hat zwar in Siegenburg keine Wähler, aber Möller ist eine temperamentvolle Frau mit ungebändigter Lockenmähne, die gern lange Röcke trägt und offenbar vor wenig zurückschreckt. In der Mehrzweckhalle hielt sie eine flammende Rede: „Wir müssen das Ganze eine Etage höher tragen!“, rief sie. Und irgendwie schien die Angelegenheit mit dieser Idee neuen Schwung zu bekommen. „Man muss jede Gelegenheit ergreifen“, findet Käs.

In den Wochen danach hat Kornelia Möller auch noch eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung formuliert. In der Anfrage hat Möller alle Argumente der Siegenburger als Fragen getarnt und aufgelistet. Aber wenn es eines weiteren Beweises dafür bedurft hätte, dass politische Veränderung ein überaus mühseliges Unterfangen ist, die Siegenburger hätten ihn erbracht.

Ihre Kleine Anfrage wird mit denselben Standardsätzen beantwortet, die die Siegenburger schon seit über 30 Jahren zu hören bekommen und die am Ende darauf hinauslaufen: Militärische Interessen gehen immer vor. Auch der Berlin-Besuch der Siegenburger liefert ein ziemlich ernüchterndes Beispiel dafür, wie Bürger mit einem ernsthaften Anliegen behandelt werden.

Als die Siegenburger Ende November bei eisigen Temperaturen mit 50 Leuten, darunter vier Bürgermeistern, einem Landrat und einer fünfköpfige Blaskapelle in bayerischer Tracht, in Berlin aus dem Bus steigen und sich vor dem Bundesverteidigungsministerium aufstellen, wartet jedenfalls nichts Gutes auf sie: Der Pförtner raunzt, dass die Blaskapelle nicht spielen darf, weil das sonst eine unangemeldete Demonstration sei. Der zuständige parlamentarische Staatssekretär hatte das verabredete Treffen bereits zwei Tage vorher aus „terminlichen Gründen“ abgesagt. Stattdessen empfängt die Siegenburger im Ministerium ein smarter Mitarbeiter der Öffentlichkeitsabteilung, der weder über Ahnung noch über Entscheidungsbefugnis verfügt: „Ich kenne Siegenburg nicht, aber wir können uns gern unterhalten“. Das Abservieren der Siegenburger besorgt eine eiskalte Pressefrau, die die angereisten Niederbayern behandelt wie unerwünschte Hinterwäldler, sie mehr oder weniger arrogant zur Tür hinauskomplimentiert, nicht ohne ihnen noch das Gefühl mitzugeben, wirklich alles, alles falsch gemacht zu haben.

„Pfui!“, ruft Johann Käs wütend zum Ministerium hinüber, als er draußen wieder in den Bus einsteigt. „Man hat uns hier verarscht!“ Immerhin schaffen es die Siegenburger am Nachmittag, ihre Blasinstrumente in das Reichstagsgebäude zu bugsieren. Und das ist ja in Zeiten von Terrorwarnungen schon eine stolze Leistung. Im Fraktionssaal der Linken spielt die Blaskapelle dann ein paar schöne Lieder. Die umtriebige Kornelia Möller hat Abgeordnete von CSU, SPD, Grünen und der Linken zu einem Gespräch zusammengetrommelt, darunter auch Gregor Gysi. Und vielleicht trägt die laute Blasmusik tatsächlich ein wenig dazu bei, dass alle Politiker einhellig versprechen, sich wirklich für die Schließung des Platzes im Dürnbucher Forst einzusetzen. Nur Johann Käs murrt: „Erst mal abwarten, was passiert“, als er aus dem Raum stapft.

Die Siegenburger sind dann wieder nach Hause gefahren. Das nächste Treffen der Bürgerinitiative findet erst im neuen Jahr statt.