SPÖ und ÖVP verhandeln wieder

Trotz ideologischer Differenzen und persönlicher Verstimmtheiten versuchen Österreichs Sozialdemokraten und Konservative erneut, eine Koalition zustande zu bringen

Die SPÖ dürfte ihrem voraussichtlichen Partner weit entgegenkommen

WIEN taz ■ Als hätte es nie Verstimmungen gegeben, traten Österreichs Noch-Bundeskanzler Wolfgang Schüssel, ÖVP, und Wahlsieger Alfred Gusenbauer, SPÖ, am Freitag schulterklopfend vor die Presse und versprachen die Wiederaufnahme der Koalitionsverhandlungen. Dass sie sich öffentlich duzten und geradezu entspannt auftraten, wurde als Zeichen eines echten Durchbruchs gewertet. Mittwoch Vormittag, 53 Tage nach den Nationalratswahlen vom 1. Oktober, wollen sich die Verhandlungsführer der beiden Parteien wieder an den Tisch setzen und an einer gemeinsamen Regierung arbeiten. Und das „zügig“, wie sie bestätigten. Die SPÖ wurde bei den Wahlen mit einem Prozentpunkt Vorsprung auf die ÖVP stärkste Partei.

Die ÖVP hatte sich Anfang des Monats von den Gesprächen zurückgezogen, weil der Nationalrat in seiner konstituierenden Sitzung am 30. Oktober zwei Untersuchungsausschüsse eingesetzt hatte. Einer prüft das ebenso umstrittene wie geheimnisumwitterte Zustandekommen der Verträge für den Ankauf von Jagdbombern, der andere die Finanzmarktaufsicht, die hochriskante Geschäfte mehrerer Banken und den Bankrott der gewerkschaftseigenen Bawag nicht verhindert hatte. Beide könnten für die ÖVP unangenehme Details an den Tag fördern.

Solange die Ausschüsse tagten, würde es mit der ÖVP keine Koalition geben, hieß es aus der Parteizentrale. So war denn in den letzten Wochen mehr von den klimatischen Störungen zwischen den Großparteien, vom „Schmollwinkel“, wo die einen geortet wurden, und „hohem Ross“, auf dem man die anderen sah, die Rede als von Bemühungen um eine gemeinsame Basis. Während in der ÖVP Stimmen laut wurden, Schüssel solle eine Dreierkoalition mit FPÖ und BZÖ anstreben, spekulierte man in der SPÖ über eine Minderheitsregierung.

Alfred Gusenbauer setzte schließlich ein Ultimatum. Wenn die ÖVP bis Donnerstag letzter Woche nicht einlenke, würde er Bundespräsident Fischer bitten, ihm den Auftrag für „andere“ Regierungsformen zu erteilen. Wolfgang Schüssel verurteilte das Ultimatum, verkündete aber, man sei unter Bedingungen zur Wiederaufnahme der Koalitionsverhandlungen bereit: Die Untersuchungsausschüsse dürften tagen, doch müsse sich die SPÖ verpflichten, weder im Parlamentsplenum noch in den Ausschüssen gegen die ÖVP zu stimmen.

Statt dieses nach Meinung der meisten Kommentatoren groteske Ansinnen schroff zurückzuweisen, suchte Gusenbauer das Gespräch mit Schüssel und plötzlich wurden aus den „Bedingungen“ „Prinzipien“. Man werde das Abstimmungsverhalten aufeinander abstimmen. Die Arbeit der Ausschüsse dürfe dadurch nicht behindert werden.

Die SPÖ dürfte ihrem voraussichtlichen Partner weit entgegenkommen. Entgegen der bisherigen Praxis großer Koalitionen könnte sie ihm den Posten des Finanzministers überlassen. Allerdings müsse der „das Vertrauen beider Koalitionspartner haben“, wie Gusenbauer betonte. Der von der ÖVP favorisierte Karl-Heinz Grasser, der in den letzten Monaten mehr wegen seiner Ehe mit der Swarovski-Erbin Fiona in den Schlagzeilen ist, dürfte aus dem Spiel sein.

Ob er selbst den Vizekanzler machen oder sich nach erfolgreichen Verhandlungen aus der Innenpolitik zurückziehen werde, ließ Schüssel, 61, offen. Als Nachfolger bietet sich der bisherige Fraktionschef und Schüssel-Vertraute Wilhelm Molterer an. Doch Personalfragen werden nach der öffentlichen Darstellung erst zum Schluss debattiert. Jetzt fragt man sich, ob die beiden Parteien trotz ideologischer Differenzen und persönlicher Verstimmtheiten ein Regierungsprogramm auf die Beine stellen können, das nicht, wie die anderen Parteien fürchten, nur Stillstand und Postenschacher bedeutet. RALF LEONHARD

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