Human Rights Watch: Saddam-Prozess unfair

Die US-Menschenrechtsorganisation erkennt eine Fülle gravierender Mängel im Verfahren gegen Iraks Exdiktator

BERLIN taz ■ „Saddam Husseins Verurteilung ist ein Meilenstein bei den Bemühungen des irakischen Volkes, die Herrschaft eines Tyrannen durch die Herrschaft des Rechts zu ersetzen“, hatte US-Präsident George W. Bush am 5. November gesagt, als in Bagdad das Todesurteil gegen Iraks Exdiktator gesprochen wurde. Bei „Bemühungen“ aber, in jedem Mitarbeiterzeugnis eine verklausulierte Formulierung für „vollständiges Versagen“, ist es wohl auch geblieben. Zu dem Schluss kommt jedenfalls eine am Sonntag vorgestellte Studie der US-Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW), die den Prozess zehn Monate lang beobachtete und Dutzende von Interviews mit Beteiligten führte.

„Der Prozessverlauf im Dudschail-Verfahren war grundlegend unfair“, sagt Nehal Bhuta, Autor des Berichts und Mitglied des Justizprogramms von HRW. Die Verhängung der Todesstrafe nach einem unfairen Prozess sei „nicht zu rechtfertigen“, so Bhuta weiter.

Auf 97 Seiten listet der Bericht eine solche Fülle von Fehlern und Mängeln auf, dass es ihm erstaunlich erscheint, dass überhaupt ein Prozess stattgefunden hat. Nicht einmal die normale Führung der Akten habe das Gericht zustande gebracht, berichtet HRW. Anwälte hätten niemals sicher sein können, dass eingereichte Schriftsätze das Gericht auch wirklich erreicht hätten, Vollmachten seien nicht ordentlich verzeichnet worden.

Von den 900 Seiten Aktenmaterial, das Grundlage des Prozesses war, seien in den Kopien, die den Anwälten überstellt wurden, rund 30 Prozent völlig unleserlich gewesen – außerdem seien etliche Dokumente mehrmals darunter gewesen, ohne dass die Akten verständlich geordnet gewesen seien. Zudem seien die Seitenzahlen durcheinander gewesen, sodass es den Angeklagten und ihren Vertretern ausgesprochen schwer gemacht worden sei, den Kern der Anklagen gegen sie nachzuvollziehen – eine Grundanforderung des Strafrechts.

Und: Gerade in einer Zeit, in der sich die allgemeine Sicherheitslage im Irak deutlich verschlechterte, wäre es von essenzieller Bedeutung für ein rechtmäßiges und an internationalen Standards orientiertes Verfahren gewesen, Prozessbeteiligte wie insbesondere Zeugen und Anwälte effektiv zu schützen. Das aber geschah nicht. Zwar sähe das Statut des 2005 geschaffenen Iraqi High Tribunal – hervorgegangen aus dem noch unter US-Aufsicht geschaffenen Iraqi Special Tribunal – ein umfassendes Zeugenschutzprogramm vor, doch konnten sich weder Zeugen noch Anwälte darauf verlassen. Schon einen Tag nach Prozessbeginn wurde ein Verteidiger entführt und ermordet – im Verlauf des Prozesses folgten weitere Tote.

Hauptproblem des Prozesses, so HRW, sei aber die Beweisführung gewesen. Wichtige be- und entlastende Beweise seien der Verteidigung vorenthalten worden. Das Recht der Angeklagten und der Verteidigung, Belastungszeugen direkt zu befragen, sei missachtet worden. Das oft ausfallende Verhalten der Richter habe darüber hinaus Zweifel an deren Unparteilichkeit geweckt. BERND PICKERT