„Die Grünen wollen einen starken Staat“

Fraktionschef Fritz Kuhn plädiert für Wettbewerb mit „klaren sozialen und ökologischen Rahmenbedingungen“

taz: In Ihrem Entwurf für das neue grüne Wirtschaftsprogramm preisen Sie den Wettbewerb und den Markt. Nehmen die Grünen soziale Gerechtigkeit und Ökologie nicht mehr so wichtig?

Fritz Kuhn: Im Gegenteil. Für uns ist der Markt ein Mittel zur Durchsetzung von politischen Zielen. Wir brauchen eine Marktwirtschaft mit klaren sozialen und ökologischen Rahmenbedingungen. Wenn zum Beispiel die Verbraucher alle notwendigen Informationen bekommen und einzelne Unternehmen nicht zu mächtig sind, kann der Markt intelligente Lösungen hervorbringen. Die Grünen wissen aber auch: Wir müssen den Sozialstaat stabiler machen, ihn anders gestalten und anders finanzieren. Ohne Gerechtigkeit würde eine Marktwirtschaft nichts taugen.

Bei vielen Bundesbürgern löst die Forderung nach „mehr Markt“ die Befürchtung einer größeren persönlichen Unsicherheit aus.

Diesem Gefühl müssen wir entgegenwirken. Wenn man die Grundsicherung des Arbeitslosengeldes II ausbaut und verbessert, dann bedeutet das mehr Sicherheit, nicht mehr Unsicherheit. Ich bin kein Anhänger der neoliberalen Marktkonzeption. Ich sage nicht: Der Staat soll verschwinden. Die Grünen wollen einen starken Staat, der Rahmenbedingungen setzt – und auch durchsetzt.

Welches konkrete Angebot können die Grünen den erwerbslosen Empfängern von Hartz IV machen?

Das ursprüngliche Versprechen der Hartz-Gesetze, nämlich das Fördern, muss jetzt endlich realisiert werden. Man muss den Arbeitslosen Jobs und Qualifizierungen anbieten. Die Regierung tut das Gegenteil: Sie übt Druck auf die Erwerbslosen aus und wirft ihnen vor, die Unterstützung zu missbrauchen. Außerdem kürzt die Bundesagentur die Mittel für Fortbildungen und Qualifizierungen.

Auf dem Markt gibt es seit Jahren nicht genug freie Stellen, um die Erwerbslosen zu vermitteln.

Wegen des höheren Wirtschaftswachstums werden die Aussichten aber besser. Darüber hinaus schlagen wir vor, Beschäftigungsgesellschaften zu gründen. Dort könnten die nahezu 500.000 Menschen eine Anstellung finden, die aufgrund von persönlichen, körperlichen oder psychischen Problemen keine Chance mehr auf dem freien Markt haben.

Sie setzen sich für den Ausbau eines Sektors öffentlicher Beschäftigung ein?

Das können staatliche, kommunale oder auch private Gesellschaften sein. Ich kenne viele Städte, in denen so etwas in der Vergangenheit gut geklappt hat.

Mit welchen staatlichen Rahmensetzungen wollen die Grünen mehr Umweltschutz erreichen?

Die Automobilindustrie hat sich verpflichtet, bis 2008 den durchschnittlichen Ausstoß von Kohlendioxid aus Kraftfahrzeugen pro Kilometer auf 140 Gramm zu senken. Das schaffen die Konzerne nicht, sie haben versagt. Deshalb muss der Staat festlegen, wie viel Treibstoff ein Fahrzeug verbrauchen und wie viele Schadstoffe es ausstoßen darf. Diese Grenzwerte müssten sehr viel strenger sein als die heutigen Regelungen. Innerhalb dieses Rahmens kann der Markt dann nach der besten technischen Lösung suchen.

Eigentlich plädieren Sie also nicht für mehr Wettbewerb, sondern für mehr Regulierung?

Nein, das ist ein Missverständnis, dem auch einige bei uns aufsitzen. Regulierung ist die Voraussetzung für funktionierenden Wettbewerb. Ein Beispiel: Alle Häuser in Deutschland sollten einen richtigen Energiepass bekommen – nicht so ein verwässertes Ding, wie es die Bundesregierung macht. Mieter oder Käufer einer Immobilie könnten dann auf den ersten Blick sehen, wie hoch die Heizkosten sind. Damit setzt der Staat einen sehr intelligenten Rahmen. Für die Verbraucher wird der Markt transparent. Und die Vermieter würden merken, dass es sich rechnet, in Energiesparen zu investieren. Ordnungspolitik ist kein Gegensatz zur Marktwirtschaft.

INTERVIEW: HANNES KOCH