Rückkehr zum Kerngeschäft

Im neuen James-Bond-Film „Casino Royale“ wird geblutet und geprügelt. Daniel Craig bleibt sich als Haudrauf treu und küsst nur, wenn es notwendig ist. Dafür hat er begriffen: Die Welt ist komplizierter geworden, und Gadgetfetischismus ist out

Der Superagent steht nicht mehr souverän über dem Geschehen, sondern mittendrin – als ein Spielball von vielen

von HARALD FRICKE

Einer kam durch. Vor wenigen Wochen sah es aus, als ob der neue James Bond von der Kritik und erst recht von den Fans abgeschrieben werden würde als größter Flop in der Geschichte der 007-Filme. In den Internetforen wurde heftig beklagt, dass Hauptdarsteller Daniel Craig für „Casino Royale“ eine Fehlbesetzung sei, schon wegen der zu blonden Haare und seinem Image als grobschlächtiger Jackass. Außerdem war durchgesickert, dass ursprünglich Quentin Tarrantino die Originalstory von Ian Fleming verfilmen wollte und dafür noch einmal Pierce Brosnan in der Rolle des Geheimagenten vorgesehen hatte. Und schließlich war sich niemand mehr sicher, ob der Mythos vom coolen, straight seine Missionen erfüllenden 007 in einer doch eher komplexen Welt aus vereinzelten Terrorzellen, multinationalen Firmen und schwerfälligen Militärapparaten weiterhin funktionieren könnte. Deshalb war ja auch „Die another day“, der letzte Bond-Film von 2002, viel zu ausgedacht gewesen: Wer nordkoreanische Killertruppen mit unsichtbaren Autos im Eis der Antarktis jagt, hat den Kontakt zur Wirklichkeit endgültig verloren. Vom guten alten Auftrag seiner Majestät war bloß noch die Lizenz zum Gaga übrig geblieben.

Nun aber hat sich die Stimmung plötzlich gewendet. Die Engländer lieben Craig, weil er als 007 endlich wieder britische Tugenden verkörpert: Der 1968 geborene, in Liverpool aufgewachsene Schauspieler kann fluchen wie ein Dockarbeiter, und er benutzt beim Boxen den Ellbogen wie die echten Schlägertypen aus der working class. Ohnehin wird sein Äußeres mit einer Aufmerksamkeit studiert wie seit Sean Connery nicht mehr. Die einen finden seine Armmuskeln prachtvoll, die anderen erinnert der wulstige Bizeps eher an Popeye; dass er beim Küssen die Lippen wie eine Ente schürzt, fällt indes kaum auf, da in diesem Bond ungewöhnlich selten geküsst wird. Weil Craig für den Film dann allerdings auch noch ein Penisdouble angefordert hatte, durfte das Schwulenklatschblatt Sergej bereits über sein Geschlechtsteil – zu groß womöglich? – spekulieren. Die Szene jedenfalls, in der er in knapper Badehose aus den Tiefen des Meeres steigt, hat das Zeug zur Ikone: halb Zuckerbäcker, halb Bodybuilding, selten sah ein Bond dermaßen nach Fleisch aus.

Dabei ist die fitte Physis nicht einmal Beiwerk. Anders als Brosnan mit seinem geföhnten Charme und einer Handvoll Highttech muss Craig seinen Körper unentwegt einsetzen. Er wird geprügelt und geschunden, was sich sehr nachhaltig auswirkt, denn jeder Schlag hinterlässt Spuren und Blessuren, die hübsch rot über diversen Waschbecken ausbluten. Für diese überraschende Wendung nach 44 Jahren göttergleicher Unverletzlichkeit in den 20 vorhergehenden Bond-Verfilmungen ist vor allem der Drehbuchautor Paul Haggis verantwortlich, der letztes Jahr mit seinem Skript für „L. A. Crash“ den Oscar gewann. Bei „Casino Royale“ hat er Flemings Vorlage aus dem Jahr 1953 nur im Ansatz verarbeitet, indem er den Showdown am Pokertisch übernahm. Der Rest der Handlung ist ohne die glamourösen, auch amourösen Bond-typischen Abschweifungen auf das Kerngeschäft konzentriert: Wie erzählt man einen modernen Agententhriller? Und wie rettet man eine Figur, die sich lange Zeit durch Ironie, Distanz und ein gehöriges Maß an Smartheit als unabhängig gegenüber den wechselnden Launen der Politik auszeichnete, in ein Post-9/11-Zeitalter des big Ernst hinüber?

Die Lösung, die Haggis und Regisseur Martin Campbell dafür in „Casino Royale“ gefunden haben, ist erstaunlich. Der Film erzählt quasi als ein spät nachgereichter Prolog, wie Bond vom waffenstarrenden Heißsporn zum klarsichtigen Geheimdienstmann wurde – diese Charakterfindung geschieht aber auf der Folie heutiger Konflikte. Hat man sich erst einmal auf diese sehr konstruierte Verkoppelung von Sixties-Mythos und Jetztzeit eingegroovt, dann wächst die Figur ziemlich rasch in den Gegenwartsbetrieb der angespannten Weltlage hinein. Auch durch die Vielschichtigkeit der Action: Die politischen Systeme sind nicht länger in verfeindete Lager aufgespalten, stattdessen herrscht ein optionales Schurkentum, das sich mit allen und jedem verbünden kann – fern von nationalen oder ideologischen Interessen. Es gibt afrikanische Soldatenführer, die für den Krieg in Ruanda sichere Konten brauchen, und es gibt mit Le Chiffre (Mads Mikkelsen) den über alle Grenzen und Frontlinien hinweg agierenden Finanzmogul, der geschäftstüchtig an den Börsen herumtrickst, indem er mit spektakulären Attentaten den Aktienmarkt torpedieren will. Die Russen sind aus dem Spiel, der Balkan bildet den neuen Nährboden der Korruption. Und Bond? Muss sich quasi in jeder Sekunde bewähren, wie eine Testperson in der Blackbox des Terrorismus. Mal darf er athletisch über Baustellen rennen, um einen Bombenleger zu stellen; mal ist er zwischen Gunther von Hagens plastinierten Leichen unterwegs, weil er ein Attentat verhindern muss; und mal lässt er sich mannhaft und mit einem Lächeln an den Hoden foltern, weil es seine Queen so will.

Tatsächlich gibt es keine globale Bedrohung mehr, nur lauter Krisenherde. Waren Bonds Gegner in früheren Filmen zumindest noch von Größenwahn angetrieben, wurschteln sie sich jetzt so gut es geht durch auf dem Weg zu mehr Macht – egal ob als fehlgeleiteter Freiheitskämpfer oder als Raffzahn in Nadelstreifen. Weil die Bündnisse so oft wechseln, sind die Beteiligten ständig überfordert. Der Stress hat sich den Gesichtern eingeschrieben: Selbst M (Judi Dench) sieht zerfurcht und hoffnungslos übermüdet aus. Wenn sie sich dann an Bond abreagiert, ist er einfach eine Stufe niedriger in der Geheimdiensthierarchie – auch das gehört neuerdings zum Alltag eines Bond-Lebens dazu.

Umgekehrt reicht die Unübersichtlichkeit des Bösen völlig aus, um das Geschehen für „Casino Royale“ souverän in Szene zu setzen. Ohne die irrwitzigen Wendungen und Schnörkel, die 007-Filme immer ein bisschen wie eine Parodie auf den Spionage-Muff des Kalten Krieges aussehen ließen; aber eben auch ohne die tollen Gadgets und den lässigen Snobismus, die bislang zur Marke Bond gehörten. Denn wozu Minisender und feuerfeste Sockenhalter erfinden, wenn es im entscheidenden Augenblick darauf ankommt, die richtige Datei von der CIA-Homepage runterzuladen?

2006 steht der Superagent auf ungewohntem Posten: nicht über dem Geschehen, sondern als ein Spielball unter vielen im Kampf gegen den allgegenwärtigen Terror. Da hat sich der Film, wie zuvor schon „Syriana“, einiges vom realen Durcheinander abgeschaut. Selbst das Pech in der Liebe hat in „Casino Royale“ Methode: Wenn Bond nach bald zwei Stunden von der für das britische Schatzamt arbeitenden Vesper Lynd (Eva Green) in einer eleganten Volte um eben mal 120 Millionen Dollar betrogen wird, ist diese Pleite der spät eingeführte Grund für sein altbekanntes Herzensbrechertum. Insofern ist der Bond von gestern im Bond von heute angelegt. Fragt sich nur, wie Craig den Bond von morgen bewältigen wird: Immerhin ist „Bond 22“ bereits in der Vorproduktion.

„Casino Royale“. Regie: Martin Campbell. Mit Daniel Craig, Eva Green u. a. USA/Großbritannien 2006, 145 Min.