Der geniale Plan des Herrn Falk

Alexander Falk war clever, er verkaufte seine Ision-Anteile für sagenhafte812 Millionen Euro„Ich habe nicht die Absicht“, schrieb er, „die nächsten Jahre mit einem nutzlosen Verfahren zu verbringen“

AUS HAMBURG ELKE SPANNER

Dass die Angeklagten persönlich zum Prozess erscheinen müssen, ist ausgesprochen lästig für Finanzberater Maarten Reidel. Aber er kommt natürlich. Der Falk-Prozess zwingt ihn zur Anwesenheit – im Schnitt einmal die Woche von neun bis vier Uhr, und das seit 24 Monaten. Reidel setzt sich an seinen Platz im Hamburger Landgericht. Er krempelt die Hemdsärmel hoch, nippt an seinem coffee to go und klappt den Laptop auf. Seine Ungeduld kann Reidel kaum verbergen, er arbeitet sie am Computer ab: Eine Patience jagt die nächste. Ist ein Spiel beendet, teilt er sofort per Mausklick das nächste Blatt aus, als gelte es, keine Zeit mehr zu verlieren, zumindest nicht im Spiel.

Das gediegene hanseatische Milieu, in dem dieser Fall spielt, ist auch am Ambiente zu erkennen. Er wird im ehrwürdigen Plenarsaal des Hamburger Landgerichts verhandelt, stuckverziert mit breiter Fensterfront. Blickt man vom Zuschauerraum auf die drei voll besetzten Reihen vor dem Richtertisch, ist kaum zu unterscheiden, wer hier Angeklagter ist und wer Verteidiger. Alle tragen dunkle Roben oder Anzüge. Mit Kugelschreiber schreibt hier niemand mehr mit, an jedem Platz steht ein Laptop. Der Vorsitzende Richter verzichtet schon lange darauf, von den Anwesenden zu verlangen, sich respektvoll zu erheben, wenn er den Saal betritt. Und die Angeklagten haben über ihre Anwälte verkünden lassen, sie rechneten fest mit einem Freispruch. Für diesen Fall dürfe mit einer Schadensersatzforderung in Millionenhöhe gerechnet werden.

Die stärkste Siegessicherheit strahlt der Hauptangeklagte aus. Alexander Falk, 37, betritt den Saal allmorgendlich mit betonter Leichtigkeit. Er klopft seinen früheren Geschäftspartnern zur Begrüßung kumpelhaft auf die Schulter, als sei ausgerechnet er in der Position, ihnen Mut machen zu können. Kleine Scherze, kurze Smalltalks, stets verbunden mit einem Beifall heischenden Blick Richtung Zuschauerbank.

Falk ist es gewohnt, auf der Gewinnerseite des Lebens zu stehen. Von seinem Vater, dem Erfinder der Falk-Patent-Stadtpläne, hat er ein Millionenvermögen geerbt. Den Verlag hat er 1996 an die Bertelsmann AG verkauft, weil er ihn für einen „unsportlichen Lader ohne Innovationskultur“ hielt. Mit den 50 Millionen Mark (25,5, Millionen Euro) baute Falk die Distefora Holding auf, zu der mehrere Hightech-Firmen gehörten, ab 1999 auch die Ision Internet-AG. Mit ihr gelang ihm Anfang 2003 sein größter Coup: Er verkaufte 75 Prozent der Ision-Anteile für sagenhafte 812 Millionen Euro an die britische Firma Energis. In der New Economy galt Alexander Falk, damals 34 Jahre alt, als Shootingstar.

Exakt an diesem Punkt aber kommt die Staatsanwaltschaft ins Spiel: Sie unterstellt Falk, er habe die 812 Millionen Euro nur erzielen können, indem er den Wert der Ision AG zuvor mit Scheingeschäften in die Höhe getrieben habe. Umsätze seien nur vorgetäuscht worden, heißt es in der Anklage, und so sei der Energis einen Schaden von mindestens 46,7 Millionen Euro entstanden. Zwar ist ein wichtiges Beweisstück inzwischen weggebrochen: Das Protokoll des so genannten Kick-off-Meetings am 19. September 2000, bei dem die Angeklagten den Deal verabredet haben sollen, war gefälscht – das hat ein früherer Manager der Falk-Firma eingeräumt, der einen Rausschmiss fürchtete und ein Druckmittel in der Hand halten wollte. Dennoch waren sich die Geschäftspartner ihrer Sache so sicher, dass sie ihre offenbar windigen Geschäfte akribisch dokumentierten und sich in E-Mails gegenseitig vor strafrechtlichen Konsequenzen ihres Tuns warnten. Rückwirkend betrachtet liest es sich, als hätten die Finanzexperten ihre eigene Anklageschrift verfasst.

Sechs Geschäftsleute sitzen insgesamt auf der Anklagebank. Die Staatsanwaltschaft sagt, sie hätten einen besonders schweren Betrug, Kursmanipulation und Steuerhinterziehung begangen. Die Verteidigung hingegen sagt, es sei gar kein Schaden entstanden. Das Aktienpaket, das Energis der Ision AG als Teil des Kaufpreises übertrug, soll Gerüchten zufolge ebenfalls sein Geld nicht wert gewesen sein. Zudem bestreitet Falk, dass sich der tatsächliche Wert eines Unternehmens, also der Ision AG, betriebswirtschaftlich überhaupt errechnen lässt.

Deshalb tritt Ende Oktober Reinhart Schmidt in den Zeugenstand, emeritierter Professor für Betriebswirtschaftslehrer aus Halle an der Saale. Er soll dem Gericht erklären, ob und wie man den Wert eines Unternehmens berechnen kann. Schmidt ist Sachverständiger, aber wer die Reaktionen der Angeklagten auf sein Erscheinen vor Gericht beobachtet, könnte ihn auch für einen betriebswirtschaftlichen Laien halten. Während der Professor einen Vortrag über Umsatzmultiplikatoren, Discounted Cash Flow und andere Rechenmodelle hält, lacht Falk immer wieder höhnisch auf und rauft sich die gegelte Tolle. „Meine Herren!“, ächzt er, als müsse er verzweifeln angesichts der betriebswirtschaftlichen Unkenntnis des Sachverständigen. Maarten Reidel, der hinter Falk sitzt, hört dem Sachverständigen gar nicht erst zu. Das hat er an seine Anwälte delegiert, die bezahlt er dafür. Er legt lieber eine neue Patience.

Irritierend ist, dass die Energis AG sich selbst nie über einen Schaden beklagt hat. Üblicherweise ziehen Opfer und Staatsanwaltschaft an einem Strang. In diesem Verfahren aber scheint es, als streite die Staatsanwaltschaft für ein Unternehmen, das sich dafür gar nicht interessiert. Angezeigt hat Energis die Sache jedenfalls nie. Das Unternehmen tritt auch nicht als Nebenkläger auf, um eigene Rechte geltend zu machen, in den bisher 24 Verhandlungsmonaten haben die Vertreter des Unternehmens nicht als Zeugen ausgesagt. Ab der kommenden Woche sollen sie endlich gehört werden, das könnte bis Mitte Dezember dauern. Danach ist das Gericht nach eigenem Bekunden mit seinem Programm durch. Terminiert ist der Prozess aber sicherheitshalber noch bis August 2007.

Vor Gericht stehen die sechs Männer wegen einer anonymen Anzeige, 2003 erließ die Staatsanwaltschaft Haftbefehl gegen Falk, damals 34 Jahre alt. Er erfuhr davon, als er gerade in London war, jemand riet ihm, besser zu verschwinden, nach Südafrika zum Beispiel, dort hat er ein Haus. Einer seiner Anwälte sah die Sache gelassen: Eine Woche Haft vielleicht, dann ist die Sache überstanden. Falk kam zurück und ins Gefängnis. Nicht eine Woche, fast zwei Jahre blieb er in Untersuchungshaft.

Seine Anwälte sprachen von vornherein von einem Justizskandal. Ein Teil der Presse reihte sich ein, als dem angesehenen Hanseaten verboten wurde, während der Besuche seiner Familie seinen kleinen Sohn auf den Arm zu nehmen. Die Justizbehörde aber hatte für diesen Schritt einen triftigen Grund: Falk plante seine Flucht aus Deutschland. Im November 2004 wurde ein Kassiber abgefangen, das er aus dem Gefängnis schmuggeln wollte. Falk bat darin einen südafrikanischen Manager, ihm bei der Fluchtvorbereitung behilflich zu sein. „Ich habe nicht die Absicht“, schrieb er, „die nächsten drei Jahre mit einem vollständig nutzlosen Verfahren zu verbringen, das ich ohnehin gewinnen werde“.

Zwei Jahre ist das her. Inzwischen führt Falk wieder ein freies Leben. Er fährt im silberfarbenen Porsche durch Hamburg, auch gerne mal auf der Busspur, wenn es auf der Fahrbahn nicht schnell genug vorwärts geht. Zum Segeln fliegt er mit der Familie nach Ibiza, unter der Auflage natürlich, von dort auch wieder zurückzukehren. Der Haftbefehl gegen ihn ist mal in Kraft und mal nicht. Das hängt davon ab, ob im Streit darum gerade das Landgericht oder die obere Instanz, das Oberlandesgericht, am Zuge ist.

Der Vorsitzende der Landgerichtskammer hat in einer Zwischenbilanz ausgeführt, dass am Ende des Prozesses wohl nur noch eine Verurteilung wegen versuchten schweren Betrugs in Frage kommt. Er hat der These der Verteidigung zugestimmt, dass ein Schaden der Energis AG nicht wirklich zu berechnen sei, der tatsächliche Wert der Ision AG könnte sich nur anhand des objektiven Marktwerts für das Unternehmen bemessen. Einen Markt aber habe es gar nicht gegeben, weil Energis der einzig ernsthafte Kaufinteressent war: „Dieses Gericht denkt seit zwei Jahren über kaum etwas anderes so viel nach wie über dieses Kernproblem des Falls.“

Weil das Landgericht nur noch von einem versuchten Betrug ausgeht, setzt es den Haftbefehl immer wieder aus. Das Ritual, das sich daraufhin vollzieht, sieht so aus, dass die Staatsanwaltschaft protestiert und das Oberlandesgericht den Haftbefehl wieder einsetzt, denn die obere Instanz glaubt nach wie vor an einen vollendeten Betrug. Falk, so das OLG, sei weiterhin „dringend tatverdächtig, die angeklagten Straftaten begangen zu haben“. Zurzeit ist der Haftbefehl gerade in Kraft, dennoch ist Falk in Freiheit. Gegen Kaution bleibt er davor verschont, auf das Ende des Prozesses in einer Zelle warten zu müssen.

Sollte er tatsächlich wegen versuchten schweren Betruges verurteilt werden, droht Falk eine Haftstrafe, die durch die Untersuchungshaft aber weitgehend verbüßt sein dürfte. Der 37-Jährige ist davon überzeugt, das Landgericht eines Tages als freier Mann zu verlassen. Dann hat er vor, die Stadt Hamburg kräftig bluten zu lassen. 50 Millionen Euro Schadensersatz will er im Falle des Freispruchs verlangen, munkelt man. Sein Anwalt Thomas Bliwier sagt, die dann anstehende Klage werde „dramatische Konsequenzen für den Haushalt der Hansestadt“ haben.