Ohne siebten Sinn

Land Of The Free (4): Fahrprüfung in Manhattan bestanden – aber kann ich jetzt auch Auto fahren?

Als ich 17 Jahre alt war, wollte ich meinen Führerschein machen. Aber meine Eltern entschieden kurzerhand, ich sei zu unreif zum Autofahren. Drei Jahre später fingen sie an zu nerven, wann ich denn endlich meinen Führerschein machen würde. Zu Weihnachten gaben sie mir hundert Mark Zuschuss für die Fahrstunden. Was für ein Hohn, dachte ich wütend und verpulverte das Geld auf meinem Interrail-Trip.

Mehr als eine Dekade später habe ich mich in Manhattan doch zum Führerschein angemeldet. Noch vor dem theoretischen Unterricht muss ich die Theorieprüfung ablegen – andere Länder, andere Sitten. Im „Department for Motor Vehicles“ werde ich gefragt, auf welcher Sprache ich den Test machen will. 17 Sprachen stehen zur Auswahl, weil Deutsch nicht dabei ist, entscheide ich mich für Englisch und gehöre damit zur Minderheit – Arabisch, Mandarin und Urdu sind eindeutig beliebtere Testsprachen.

Nach zwei Wochen erhalte ich einen Brief, dass ich den Test bestanden habe, und kann am fünfstündigen Theorie-Blockunterricht teilnehmen. Die Fahrschule hat ihre besten Jahre definitiv hinter sich, der Fußboden ist mit einer klebrigen Dreckschicht überzogen und die Klimaanlage scheppert so laut, dass ich die Stimme der Lehrerin, einer übergewichtigen Koreanerin namens Sun, kaum verstehen kann.

Fast alle Teilnehmer sind Einwanderer, die meisten so übermüdet, dass sie immer wieder einschlafen. Sun redet gelangweilt über „drunk driving“. Anschließend zeigt sie uns ein endloses Video mit Fernsehspots aus den 80er-Jahren über die Gefahren des Autofahrens.

Dann habe ich endlich meine erste Fahrstunde. Rey, mein philippinischer Fahrlehrer, holt mich zu Hause ab und lotst mich als Erstes auf die sechsspurige 11th Avenue mitten in Midtown Manhattan. Taxifahrer, die gestern noch Kamele durch die Sahara getrieben haben, schneiden mich von links und rechts, ohne zu blinken. Fußgänger ignorieren rote Ampeln, Autofahrer ignorieren Fußgänger und die Lastwagen ignorieren alle – survival of the fittest.

Rey gibt mir ständig doppelte Anweisungen: „Beim Test musst du hier anhalten, in Manhattan fährst du einfach weiter.“ Nach fünf Fahrstunden erklärt er mich für fahrtüchtig, obwohl ich nachts Albträume über den Verkehr in Manhattan habe. Der eigentliche Test dagegen ist eine Enttäuschung. Rey bringt mich nach Queens, in einen verschlafenen Stadtteil mit Einfamilienhäusern und null Verkehr. Zehn Minuten lang fahre ich mit dem Prüfer um die Häuserblöcke, einmal wenden, einmal parken – Prüfung bestanden.

Auf dem Rückweg nach Manhattan frage ich Rey skeptisch, ob er glaubt, dass ich jetzt tatsächlich Auto fahren könne. Klar, sagt Rey, und zitiert den Lieblingsspruch aller zugezogenen New Yorker von Frank Sinatra. „If you can make it there, you can make it everywhere“.

KIRSTEN GRIESHABER