Fragwürdige Aktion gegen Ruandas Präsident

Frankreich, Freund des Völkermordregimes 1994, erwirkt Haftbefehle gegen die heutige Militärelite des Landes

BRÜSSEL taz ■ Ein alter Streit geht in eine neue Runde. Der französische Ermittlungsrichter Jean-Louis Bruguière hat am Montag internationale Haftbefehle gegen neun hochrangige Mitglieder der Entourage von Ruandas Präsident Paul Kagame beantragt und gefordert, Kagame selbst vor Gericht zu stellen. Kagame soll, sagt Bruguière, als Chef der einstigen ruandischen Rebellenbewegung RPF (Ruandische Patriotische Front) am 6. April 1994 den Abschuss des Flugzeuges von Ruandas damaligem Präsidenten Juvénal Habyarimana angeordnet haben – Startschuss für den allgemeinen Völkermord an Ruandas Tutsi durch die damalige ruandische Armee und Hutu-Milizen.

Die Haftbefehle richten sich gegen einige der mächtigsten Männer der heutigen ruandischen Regierung. Generalstabschef James Kabarebe ist darunter, ebenso Armeechef Charles Kayonga. Weiter genannt werden Ruandas staatliche Protokollchefin Rose Kabuye; der ruandische Botschafter in Indien, Faustin Kayumba Nyamwasa; ein Offizier der Präsidialgarde, Franck Nziza; Offizier Jacob Tumwine; Militär Jackson Nkurunziza; und RPF-Parlamentsabgeordneter Samuel Kanyemera. Da Kagame selbst als Staatschef Immunität genießt, forderte Bruguière UN-Generalsekretär Kofi Annan auf, ihn vor dem Ruanda-Tribunal der UNO anzuklagen.

Schon 2004, zum 10. Jahrestag des Genozids in Ruanda, hatte die französische Zeitung Le Monde berichtet, dass Bruguière über genügend belastendes Material für eine Anklageerhebung gegen die genannten Personen verfüge. Die Zeitung betonte jedoch auch, dass das Material in der Hauptsache auf der Aussage eines flüchtigen RPF-Dissidenten beruhe, Abdul Ruziziba, der darüber ein Buch veröffentlicht hat. In Ruanda selbst hat Bruguière nicht ermittelt.

Seltsamerweise fehlt Ruziziba auf Bruguières Liste, obwohl er der einzige Mensch ist, der je zugegeben hat, an dem Anschlag auf Habyarimana beteiligt gewesen zu sein. Alle die von Bruguière Beschuldigten weisen jede Beteiligung zurück. Zahlreiche neutrale Beobachter schreiben den Mordanschlag vom 6. April 1994 eher radikalen Hutu-Militärs zu, die damit einen drohenden Kompromiss zwischen Habyarimana und der RPF sabotieren wollten.

Im Prinzip droht Ruandas höchsten Militärs nun jedenfalls die Verhaftung, sollten sie ein anderes Land betreten. So sind jede Menge diplomatische Verwicklungen zu befürchten, denn kaum ein Land wird diese Haftbefehle vollstrecken wollen. Und wenn Kofi Annan je Bruguières Bitte nach Einleitung eines Verfahrens gegen Kagame Folge leisten sollte, würde Ruanda höchstwahrscheinlich die unrühmliche Rolle Annans vor Ruandas Völkermord thematisieren: Der damalige UN-Untergeneralsekretär ignorierte UN-Warnungen vor einem drohenden Völkermord und verbot jedes Eingreifen gegen Völkermordmilizen. Ein Kagame-Prozess könnte dann zum Annan-Prozess werden.

Noch peinlicher droht die Affäre allerdings für Frankreich selbst zu werden. Vor und während des Genozids lieferte Frankreich Waffen an Ruandas Armee, trainierte die für die Massaker hauptverantwortlichen Präsidialgarden und Interahamwe-Milizionäre und lehrte seinen ruandischen Partnern die in Algerien, Vietnam und Argentinien erprobten Praktiken der Aufstandsbekämpfung zum Kampf gegen die Tutsi und die RPF. In Ruanda tagt seit einiger Zeit eine Untersuchungskommission über Frankreichs Rolle während des Völkermords, geleitet vom einstigen ruandischen Generalstaatsanwalt Jean de Dieu Mucyo. Die „Mucyo-Kommission“ hat im Oktober bereits zahlreiche Völkermordüberlebende angehört und will ihre öffentlichen Anhörungen am 11. Dezember wieder aufnehmen, erklärte ihr Chef am Dienstag.

Ruandas Regierung hat auf Bruguières Vorstoß scharf reagiert. „Die Franzosen wollen angesichts ihrer Verwicklung in den Völkermord ihr Gewissen beruhigen“, meinte Außenminister Charles Murigande. „Sie suchen nach einem Sündenbock für die Taten, die sie selbst begangen haben.“ Die französische Organisation „Survie“, die Frankreichs Afrikapolitik kritisch begleitet, vermutet einen Zusammenhang zwischen Bruguières Vorstoß und dem Beginn der kritischen Phase des UN-Prozesses gegen Théoneste Bagosora, einer der höchstrangigen Militärs in Ruanda während des Völkermordes und alternativer Verdächtiger als Auftraggeber des Attentats auf Habyarimana.

FRANÇOIS MISSER