Zongos Erbe

Analphabetismus, politischer Druck, Zeitungen im Wert von drei Mahlzeiten – JournalistInnen in Burkina Faso haben es schwer. Nun bringt ausgerechnet ein Mord Impulse für die Pressefreiheit

Von Simon Kerbusk
und Oskar Piegsa

Liermè Some lacht viel für jemanden, der von einem Mordfall spricht. Der Chefredakteur der Wochenzeitung L’Independant sitzt in seinem Büro, verschanzt hinter kinnhohen Papierstapeln. Draußen klatscht der Regen auf die staubigen Straßen von Ouagadougou.

„Ich habe keine Angst“, sagt Some. Mut ist eine der wichtigsten Tugenden für Journalisten im westafrikanischen Burkina Faso. Das wird schnell klar, wenn er vom Schicksal seines Amtsvorgängers Norbert Zongo erzählt. Acht Jahre ist es her, dass dessen Leiche gefunden wurde: Am 13. Dezember 1998, in einem ausgebrannten Auto mit Einschusslöchern in den Türen, 100 Kilometer vor der burkinischen Hauptstadt Ouagadougou. Zuvor hatte Zongo im L’Independant monatelang schwere Vorwürfe gegen einen Bruder des Präsidenten erhoben, dessen Chauffeur von Soldaten zu Tode gefoltert worden war. Bisher ist der Mord nicht aufgeklärt.

Das könnte sich jetzt ändern, hofft Leonard Vincent, Afrika-Korrespondent der Presserechtsorganisation „Reporter ohne Grenzen“. Noch im November soll Naon Babou, ein abtrünniger Sergeant aus der Präsidentschaftsgarde aus dem Gefängnis gelassen werden. In ihm sieht Vincent den Kronzeugen, den die Justiz zur Neuaufnahme des Zongo-Verfahrens fordert. Der Prozess war im Juli eingestellt worden – mangels Beweisen. Als „Reporter ohne Grenzen“ mit dem bislang unterdrückten Bericht einer unabhängigen Untersuchungskommission Ende Oktober die Wiederaufnahme des Verfahrens erzwingen wollte, kam es zu heftigen Anfeindungen. „Die regierungsnahe Presse hat seitdem nicht aufgehört, Kampagnen gegen uns zu fahren“, sagt Leonard Vincent, „Und die Justiz hat entlarvt, wie hörig sie gegenüber der Regierung ist. Aber immerhin wurde dadurch eine neue Diskussion um den Zongo-Fall eröffnet.“

Besonders unter den Journalisten herrscht Streit, sagt Liermè Some: „Seit dem Sommer gibt es nur noch zwei Arten von Zeitungen in diesem Land – die, die für die Regierung schreiben. Und die, die kritisch sind.“ Für beide Seiten ist der journalistische Alltag in dem Land in der Subsahararegion ohnehin hart genug. „In der Regenzeit lesen die Leute kaum“, sagt Chefredakteur Some. Sein L’Independant bringt es auch sonst gerade mal auf 7.000 verkaufte Exemplare – und ist damit eine der auflagenstärksten Wochenzeitungen im Land.

Im Human Development Index der Vereinten Nationen, einer Übersicht über den Entwicklungsstand der Weltstaaten, belegt Burkina Faso den drittletzten Platz. Von den knapp 14 Millionen Einwohnern sind 73,4 Prozent Analphabeten. Die Hilfsorganisation Oxfam schätzt sogar, das nur 15 Prozent der Einwohner überhaupt Französisch beherrscht – die offizielle Sprache des Landes, in der Unterricht gehalten und Zeitungsartikel geschrieben werden. Zwar werden Zeitungsartikel im Radio vorgelesen, die wirtschaftliche Not vieler Journalisten wird dadurch jedoch nicht gelindert.

Dabei haben sich die politischen Bedingungen für die Meinungsfreiheit seit 1998 massiv verbessert. Immer noch gibt es Zweifel an der demokratischen Durchführung der Wahlen in Burkina Faso, aber Zongos Tod hat viele Burkinabè politisiert: Wochenlang protestierten Studenten Ende der Neunziger gegen das Verhalten der Regierung bei der Aufklärung des Falles. Und mit L’Evenement und Bendré sind seit Zongos Tod neue, regierungskritische Wochenzeitungen gegründet worden. Dennoch: „Die Situation in Burkina Faso ist zu gleichen Teilen gut und schlecht“, sagt Leonard Vincent. „Die Regierung ist geschwächt und die Journalisten werden mutiger, aber direkte Kritik an den Herrschenden ist für viele immer noch ein Tabu.“

Aufklärung ohne Provokation versucht Amadou Salbré, Gründer der heute größten Jugendzeitschrift in Burkina Faso. L’Oeil des Jeunes, das Auge der Jugend, wurde 1994 als Schülerzeitung gegründet. Heute ist es ein professionelles Magazin mit Ratgeber-Texten zu Aids, Emanzipation und verfrühten Orgasmen. Salbré will aufklären und die Mitsprache fördern – auch für alle, die nicht lesen können: Jedes Heft enthält eine Foto-Story für Analphabeten. „Wir haben Zongos Ansatz weiterentwickelt“, glaubt Salbré, „auch uns geht es um Meinungsfreiheit, aber wir können uns keine direkte Konfrontation leisten. Deshalb suchen wir einen Mittelweg.“ Tausend Exemplare werden von L’Oeil des Jeunes gedruckt, selten werden davon mehr als hundert Hefte verkauft. Den Rest verschenken die Redakteure auf Tanzabenden und Demonstrationen.

Der Aufklärungsjournalismus bleibt ein Verlustgeschäft, Geld verdienen die Redakteure anderswo: bei anderen Zeitungen, der Mitarbeit in Hilfsorganisationen, Auftragsarbeiten. „Es gibt in Burkina Faso keine Lesekultur“, sagt Salbré. Und nicht nur der Analphabetismus ist ein Problem: Eine Mahlzeit kostet umgerechnet etwa zehn Cent, eine Ausgabe von L’Oeil des Jeunes das Dreifache. Salbré weiß noch nicht, wie er im nächsten Monat die Büromiete zusammenbekommen soll, aber er ist sich sicher: „Wir regen junge Leute dazu an, ihre Meinung zu vertreten. Die Jungen werden älter, bekommen selbst Kinder. Ein neues Zeitalter der Demokratie wird anbrechen!“

Wie schnell dieses neue Zeitalter anbricht, wird auch davon abhängen, wie sich der Fall Zongo entwickelt. Die Journalisten in Burkina Faso sind durch die Ermordung von Norbert Zongo nicht gefügig geworden. Jetzt gilt es abzuwarten, ob auch die Justiz die Gelegenheit nutzt, einen Schritt in Richtung Rechtsstaat zu machen.