Wer am Ende die Zeche zahlt

IRLAND Wenn der Vater dem eigenen Sohn die Stimme verweigert, ist etwas oberfaul

AUS DUBLIN RALF SOTSCHECK

Sabrina McMahon wohnt jetzt in ihrem Auto. Die 37-Jährige und ihre drei Kinder im Alter von 5, 3 und 1 sind aus ihrer Mietwohnung im Süd-Dubliner Stadtteil Tallaght geflogen, weil sie mit den Mietzahlungen im Rückstand waren. Sie schläft auf dem Fahrersitz, die Kinder auf dem Rücksitz, und auf dem Beifahrersitz steht eine Tasche mit ein paar Lebensmitteln. Ihre Habseligkeiten sind in drei Reisetaschen im Kofferraum gepackt.

McMahons Fall ist keine Ausnahme, allein in der irischen Hauptstadt sind 1.350 Menschen ohne eigenen Wohnraum. Und das ist erst der Anfang, glaubt Fergus Finlay von der Wohlfahrtsorganisation Barnardos. Die Zahl werde bis Jahresende explosionsartig ansteigen, sagt er, denn Sozialhilfe und Mietzuschüsse sind gekürzt worden, während die Mieten erheblich gestiegen sind und alle Nase lang neue Steuern und Abgaben erfunden werden. Darüber hinaus läuft das Gesetz, das zumindest etwas Schutz vor dem Zugriff der Banken auf Häuser bietet, wenn die Besitzer mit den Hypothekenzahlungen in Rückstand geraten, demnächst aus.

Viele obdachlose Familien sind in Hotels untergebracht. Monatelang im Hilton zu übernachten hört sich nicht schlecht an, bedeutet aber, dass die Familien sich nicht vernünftig ernähren können, weil sie im Hotel nicht kochen und sich Restaurantbesuche nicht leisten können – von den abgebrochenen nachbarschaftlichen Beziehungen und dem Schulwechsel der Kinder ganz zu schweigen.

Langsam beginnen die Menschen, sich zu wehren. Mütter mit Kleinkindern haben eine Initiative für bezahlbaren Wohnraum gegründet, in Nord-Dublin haben Obdachlose am Wochenende das Gebäude des Stadtrats besetzt, und in den kleinen Ortschaften Ballyhea und Charleville im Süden des Landes demonstrieren die Bewohner seit März 2011 jeden Sonntag dagegen, dass die irischen Steuerzahler die Spekulationsverluste der irischen, deutschen, französischen und britischen Banken ausgleichen müssen.

Von der Regierungskoalition aus Fine Gael und Labour sind hingegen nur Jubelmeldungen über den angeblichen Aufschwung zu hören. Es ist ein Pfeifen im dunklen Wald. Vor allem der Juniorpartner wird bei den Europa- und Kommunalwahlen am Freitag die Quittung bekommen. Labour muss mit einer verheerenden Niederlage rechnen, denn die Wahl wird auch in Irland aufgrund von innenpolitischen Themen entschieden. Die Kandidaten machen sich nicht mal die Mühe, europäische Themen auf ihre Wahlplakate zu drucken. Wahlgewinner wird Sinn Féin, der politische Flügel der inzwischen aufgelösten IRA. Laut Umfragen wird die Partei ihren Stimmanteil mindestens verdoppeln. Mehr als ein Drittel aller Stimmen wird an Parteilose gehen, die die Bezirksverwaltungen erheblich aufmischen werden. Für ein Europa-Mandat wird das aber höchstens in zwei Fällen reichen – auf Kosten von Labour.

Die Partei hat einen ungewöhnlichen Rekord aufgestellt: Vor den Wahlen 2011 hat Labour acht Versprechen abgegeben – und alle acht gebrochen. Brendan Carr, Labour-Kandidat in Dublin, erzählte einer Wahlhelferin, dass sein eigener Vater ihn nicht mehr wählen werde, weil man ihm – wie so vielen Rentnern – die kostenlose Krankenversicherungskarte weggenommen hat.