Schrullig

Woran merkt man, wie alt man ist? Man schaltet morgens nach dem Aufstehen den Deutschlandfunk ein. Hört man dann Kurzinterviews mit dem Verteidigungsminister, dem Oppositionsführer oder dem Frankreich-Korrespondenten, Ankündigung aktueller Termine und keine Musik dazwischen, dann ist man noch einigermaßen jung. So jung immerhin, dass man jetzt in irgendeine Arbeitsstätte eilen und den Tag beginnen muss.

Läuft beim Aufstehen die Sendung „Kalenderblatt“ im Radio, erinnert eine sonore Stimme an 200 Jahre Kontinentalsperre, die Geburt von Louis XIV. oder Max Ernsts Todestag vor 30 Jahren, dann ist man vermutlich nicht mehr so jung. Man muss heute höchstens noch zum Supermarkt und zur Apotheke. Zur Post kann man auch morgen noch. Man ist zumindest so alt, dass man in Ruhe „Nachrichten aus Religion und Gesellschaft“ anhören kann oder besser noch den medizinischen Ratgeber, der sich mit den Macken des Alters beschäftigt.

Alter teilt die Gesellschaft in aktiv und passiv. „Altern“, so schreibt die Kulturwissenschaftlerin Heike Hartung, „wird als Entfremdung oder gar als Entmenschlichung empfunden.“ Dies gelte in besonderem Maße für den weiblichen Körper: „Darstellungen alter Frauen in Literatur und Kunst sind seit der Antike zumeist misogyne Darstellungen des körperlichen Verfalls oder Allegorien der Vergänglichkeit“, so die Herausgeberin des Buchs „Alter und Geschlecht“. Das viel zitierte Klischee, dass nur Frauen altern, Männer hingegen reifen, ist immer noch tief in zahlreichen künstlerischen und alltäglichen Darstellungen alternder Menschen verankert.

Das Alter eint also die Geschlechter nicht. Im Gegenteil, es macht die Unterschiede zwischen alten Schrullen und alten Charmeuren nur noch deutlicher. Woody Allens Filme sind ein wunderbares Beispiel für diese Art männlicher Verweigerung gegen das Altern und Behauptung ewiger Männlichkeit. Nach dem Streit mit seiner langjährigen Film- und Lebenspartnerin Mia Farrow tauchte zum einen der Typ „hysterische Ehefrau“ auf, zum anderen zeigte der Regisseur eine zunehmende Vorliebe für die glatte, pralle Schönheit von Schauspielerinnen wie Julia Roberts oder Drew Barrymore. In „Mighty Aphrodite“ (1995) nahm man dem zauseligen Allen und der engelhaften Helena Bonham Carter eine Liebesbeziehung einfach nicht mehr ab.

Bei seinem vorletzten Film, „Matchpoint“, scheint endlich auch Woody Allen eingesehen zu haben, dass er sein eigenes Alter nicht einfach mit dem einer deutlich jüngeren Darstellerin verrechnen kann, und hält sich ausschließlich hinter der Kamera auf. Von da aus liefert er dem Zuschauer allerdings einen recht eindeutigen Blick des alternden Mannes auf ein junges, dralles Mädchen, gespielt von Hollywoods neuester Divenentdeckung Scarlett Johansson. Die meisten Sexszenen des Films, und es gibt einige, sind so gedreht, dass der eigentliche Liebhaber im Hintergrund bleibt und Johanssons Verzückungen sich deutlich in Richtung Kamera bewegen. So stört der Körper des jüngeren Mannes das eigentlich Paar nicht so.

Mit „Scoop“, seinem jüngsten Film, hat sich der mittlerweile 70-jährige Allen nun zwar wieder selbst inszeniert, aber diesmal bleibt er auf der Ebene des rhetorischen Sexappeals. Und Scarlett Johansson ist nicht mehr die Sexbombe, sondern die süße wissbegierige Nachwuchsjournalistin. Doch so ganz wird sich Allen nicht aufs Altenteil zurückziehen: Sein nächster weiblicher Star, so schreibt der Spiegel, sei Penélope Cruz. JUL