„Das ist Teil der Jugendkultur“

INTERVIEW KLAUS JANSEN
UND ANNIKA JOERES

taz: Ihr seid Profi-Computerspieler. Nervt es, wenn wir Euch nach dem Amokläufer von Emsdetten fragen?

Daniel Schellhase: Nein. Eigentlich freuen wir uns darüber, wenn wir Leuten erklären können, dass die Probleme nicht bei Computerspielen liegen. Ich habe den Abschiedsbrief des Amokläufers gelesen: Meiner Meinung nach hatte der gravierendere Probleme als das Computerspielen. Er hatte keine Freunde, keine Freundin – damit kam er nicht klar. Dass er vielleicht zu viel Computer gespielt hat, ist nur ein Zeichen dafür, dass er vereinsamt war. Die entscheidende Frage ist, wie man Vereinsamung verhindert – nicht wie viel Computer jemand spielt.

Dennis Schellhase: Momentan wird in den Medien dauernd auf Computerspiele draufgehauen. Uns Spieler fragt keiner.

Ist es nicht auffällig, dass der Täter genauso Counterstrike gespielt hat wie Robert Steinhäuser, der Amokläufer von Erfurt?

Daniel: Ja, der Amokläufer hat Counterstrike gespielt. Aber er hat auch Brot gegessen. Sagt deshalb jetzt jemand, dass 90 Prozent aller Amokläufer Brot essen? Counterstrike ist so populär, dass es fast jeder Online-Spieler besitzt. Das ist Teil der Jugendkultur. Wir spielen es auch – und laufen deswegen nicht Amok.

Was würde es für die E-Gamer-Szene bedeuten, wenn Counterstrike verboten würde?

Daniel: Das wäre ein herber Schlag. Mit Counterstrike hat E-Sport angefangen, das ist eigentlich nicht wegzudenken. Der gesamte Markt würde kleiner, gewachsene Strukturen würden zerstört.

Dennis: Ich fände ein Verbot auch tragisch – obwohl wir davon profitieren würden. Es gibt ja nur drei Hauptspiele im E-Sport: Counterstrike, Warcraft und FIFA Soccer. Wenn eins davon wegfallen würde, bliebe für die anderen mehr Aufmerksamkeit übrig.

Unterscheidet sich die Counterstrike-Community von der Sportspiel-Community?

Dennis: Nicht großartig. Ein Unterschied ist, dass viele Fußball-Computerspieler selbst sehr sportlich sind und auch im wirklichen Leben Fußball spielen.

Muss man selbst Fußball spielen, um am Computer wirklich gut zu werden?

Dennis: Ich kenne persönlich kaum Spieler, die sich nicht selbst für Fußball interessieren.

Daniel: Ganz ohne geht es jedenfalls nicht. Man muss Spielzüge sehen können und wissen, wann man dazwischengeht.

Hilft es Euch umgekehrt auf dem Platz, dass Ihr am Computer so stark seid?

Daniel: Jein. So realitätsnah ist der Computerfußball nun doch nicht. Aber man lernt, wie man sich richtig stellt um es dem Gegner schwer zu machen kann, an einem vorbeizukommen. Auf dem Platz hat man zwar nicht denselben Überblick wie aus der Vogelperspektive vor dem Bildschirm, aber man nimmt Räume und Laufwege anders wahr.

Wo spielt Ihr lieber: auf dem Platz oder am Computer?

Daniel: Das lässt sich nicht vergleichen, das sind zwei völlig verschiedene Gefühle. Ich könnte nicht sagen, was ich lieber mache.

Dennis: Wir trainieren sicher häufiger am Computer als auf dem Platz. Bis vor kurzem haben wir noch Bezirksliga gespielt, aber dazu haben wir keine Zeit mehr. Wir sind zu oft unterwegs.

Daniel: Auf jeden Fall bin ich bei beidem sehr ehrgeizig. Vor dem Computer aber vielleicht ein bisschen mehr – damit verdienen wir schließlich unseren Lebensunterhalt.

Wie oft spielt ihr?

Dennis: Vor wichtigen Turnieren bunkere ich mich für eine Woche ein, dafür lasse ich es im Sommer manchmal schleifen. Normal sind zwei bis vier Stunden am Tag.

Sind E-Gamer süchtig?

Dennis: Es gibt sicher Leute, die extrem viel Zeit für das Spiel aufwenden...

Daniel: ...aber ist man deshalb süchtig? Ich kenne ehrgeizige Leute, die gerne etwas Großes gewinnen und Preisgelder kassieren wollen. Aber ist das Sucht? Sucht heißt für mich, dass man nicht mehr von etwas loskommt. In diesem Sinne kenne ich keinen, der süchtig ist. Man ist ja auch nicht süchtig, wenn man zehn Stunden am Tag arbeiten geht.

Dennis: Andere Menschen gucken vier Stunden am Tag Fernsehen. Sind die süchtig?

Könnte man sagen...

Dann sind aber ganz viele Menschen auf der Welt süchtig.

Wie betrachtet Ihr ein Fußballspiel am Computer – mathematisch oder nach Intuition?

Dennis: Beides. Ich berechne schon, wie viel Zeit ich brauche, um bis zu einem bestimmten Punkt zu kommen. Danach entwickeln wir im Laufe eines Jahres unsere Standardspielzüge.

Daniel: Manche Tore kann man schon ab der Mittellinie nicht mehr verhindern. Wenn wir unsere Spieler richtig positioniert haben und der Gegner das nicht merkt, kann ich mit zwei oder drei Passstafetten zum Tor kommen und den Ball reinzuschießen. Die Kunst ist herauszufinden, dass so etwas geht und wie man dagegen verteidigt. Erst wenn man das alles weiß, entscheiden andere Dinge: antäuschen, überraschen.

Dennis: Es geht um Antizipation. Darum vorausschauend zu spielen.

Ist es ein Vorteil, einen der stärksten Konkurrenten Zuhause zu haben?

Dennis: Ja, weil wir nicht lange einen guten Gegner suchen müssen. Nein, weil die Gefahr besteht, dass wir uns zu sehr aufeinander einstellen und dann Probleme bekommen, wenn ein Gegner mit einem anderen System kommt.

Daniel: Deshalb suchen wir uns Online auch immer wieder Trainingspartner.

Ihr seid Zwillinge, WG-Genossen und Trainingspartner. Wie oft kracht es zwischen Euch?

Dennis: Natürlich streiten wir uns schon mal. Aber das ist meistens nach drei Minuten alles wieder vergessen.

Daniel: Wir haben ein gemeinsames Ziel, dafür müssen wir uns gegenseitig helfen.

Dennis: Mann, das klingt ja echt positiv (lacht).

Bekommt Ihr Druck von den Sponsoren?

Dennis: Druck nicht. Wir sind von selbst motiviert. Andererseits laufen unsere Verträge immer nur für ein Jahr. Wir müssen uns deshalb immer anstrengen, um eine Verlängerung zu bekommen.

Macht das Hobby Computerspielen noch Spaß, wenn es ein Beruf ist?

Daniel: Zeitweise ja, zeitweise nein. Die ersten Monate mit einer Spielversion machen meistens Spaß, danach kommt der Ehrgeiz durch die Turniere, und am Ende des Jahres zieht man halt durch. Ein Profifußballer hat ja auch nicht immer Lust zu trainieren. Für den Erfolg müssen wir schon Disziplin aufwenden.

Habt Ihr einen festen Stundenplan?

Dennis: Nein, meistens spielen wir nach Lust und Laune. Wir passen das dem Tagesablauf an: Wenn ich rausgehe oder er sich mit seiner Freundin trifft, spielen wir eben nicht.

Hat Deine Freundin kein Problem damit, dass Du so viel spielst?

Daniel: Die wusste das schon vorher. Es ist in Gelsenkirchen mittlerweile schon bekannt, dass ich nicht so viel Zeit habe und an den Wochenenden oft weg bin. Sie muss damit leben, dass wir uns auch einmal eine Woche lang nicht sehen.

Habt Ihr überhaupt noch Lust und Zeit, um mit Freunden Computer zu spielen?

Dennis: FIFA-Soccer jedenfalls nicht. Ab und zu sagen Kumpels am Samstagabend vor der Disko: ‚Komm lass uns mal FIFA spielen, es kann ja nicht sein, dass ihr so gut seid.‘ Nach zehn virtuellen Minuten steht es dann 3-0, das macht keinen Spaß. Deshalb wechseln wir meistens sofort wieder das Spiel.

Was macht für Euch ein gutes Computerspiel aus?

Dennis: Gut ist, wenn man viel interagiert, wenn Talent gefragt ist und man viel nachdenken muss. Wenn es nur darum geht, 25 Stunden vor dem Computer zu sitzen, zum Beispiel bei World of Warcraft, dann ist das negativ.

In Asien sind E-Gamer Volkshelden. Wird das in Deutschland bald genauso sein?

Dennis: In Korea werden die Spiele live im Fernsehen übertragen, in Deutschland ist das noch nicht so weit. Aber das wird kommen.

Daniel: Die Frage ist, ob wir das wollen. Wir werden jetzt schon in Diskotheken angesprochen und werden auf Messen nach Autogrammen gefragt. Ich will mich aber weiter frei bewegen können. Wenn ich mir einen Star wie Robbie Williams angucke, bekomme ich eher Mitleid, als dass ich das auch haben will.

Werdet Ihr noch komisch angeguckt, wenn Ihr jemandem erzählt, womit Ihr Euer Geld verdient?

Daniel: Früher haben viele Leute Computer für ein Medium für Leute gehalten, die keine Freunde und nichts zu tun haben. Bis vor vier oder fünf Jahren ist dieses Vorurteil noch bei vielen herumgegeistert. Mittlerweile ist E-Gaming anerkannt. Das wird noch viel normaler, wenn die jungen Spieler von heute älter werden.

Wie finden Eure Eltern Euren Job?

Daniel: Am Anfang war das ein schwieriges Thema. Unsere Eltern haben Computerspiele immer als Zeitvertreib gesehen und Angst gehabt, dass wir in der Schule schlechter werden. Als wir denen gesagt haben: Hey, wir fliegen nach Korea zur Weltmeisterschaft, haben die das gar nicht glauben können.

Wann war Euren Eltern klar, dass Ihr ernsthaft Geld mit E-Sport verdient?

Dennis: Nicht sofort. Erst als wir die ersten Sponsoring-Partner hatten, die uns die Fahrten zu den Spielen bezahlt haben, sind sie aufmerksam geworden.

Daniel: Mittlerweile kommen sie sogar mit zu Turnieren.