Keltern in Hamburg

Seit über 20 Jahren zieht eine Weinstube im Stadtteil Eimsbüttel ihre eigenen Reben an. Was nach einer Schnapsidee klingt, ist erfolgreiches Marketing: Die Gäste reißen sich inzwischen darum, ihren „blauen Portugieser“ selbst zu ernten

VON LISA THORMÄHLEN

„Lass uns doch dahinten ein bisschen Wein anbauen.“ 40 Jahre ist es her, dass Ernst Lehmitz seiner Frau Ursula diesen Vorschlag machte. „Das wird doch nichts. Das ist doch viel zu nördlich hier“, war ihre kurze Antwort. Aber es wurde. Sechs Weinstöcke stehen seitdem im Hof der „Lehmitz Weinstuben“ in Hamburg-Eimsbüttel. „Mein Mann dachte damals, das würde gut zum Ambiente passen“, erzählt Ursula Lehmitz. Der Weingarten im Hinterhof versetzt Besucher nach Bordeaux, mindestens aber an die Mosel. Doch der Wein ist längst mehr als Dekoration.

Das Unternehmen der Familie Lehmitz blickt auf eine lange Geschichte zurück. Es ist eine Geschichte von Veränderungen und von Erfolgen. Denn was sich nicht mehr rentiert, wird aufgegeben. Früher verdiente die Familie ihr Geld mit Weinimporten und einer eigenen Spirituosen- und Likörfabrik. Als sich das Geschäft mit dem Schnaps nicht mehr lohnte, musste eine neue Idee her. Ursula wollte die Weinstube, Ernst einen Supermarkt. „Gastronomie war nicht so sein Ding. Ich habe mich durchgesetzt“, erklärt die heutige Alleininhaberin. Gemeinsam mit ihrem Sohn Bernd führt die 76-Jährige die Weinstube mit Gastronomie und Verkauf. Und mit eigenem Weinanbau.

Damit der nicht zu viel Arbeit macht, hat sie sich etwas einfallen lassen: „Die Weinlese haben von Anfang an die Gäste gemacht. Alleine würde ich Tage dafür brauchen.“ 30 bis 40 Freiwillige lesen jedes Jahr im September den „blauen Portugieser“. Die Gäste haben Spaß an der Winzerarbeit. Mitten in der Großstadt ist das jedoch ein kurzes Vergnügen. Drei Stunden dauert es, bis die letzten Trauben verarbeitet sind. Noch im Hof werden sie gemahlen und gekeltert, sodass die Helfer ihren Lohn sofort verzehren können. Gezahlt wird in Mettbrötchen und frischem Most. „In besonders guten Jahren rufe ich bei Hardy an“, erzählt Frau Lehmitz. Hardy Weis ist Winzer und verarbeitet den Most zu Wein. Mehr als 50 Liter werden es jedoch selten.

Die geringe Menge hat den hohen Preis zur Folge: 40 Euro kostet ein halber Liter „Eimsbütteler Hinterhöfchen“. Meistens finden sich trotzdem einige Käufer. „Wein aus Hamburg ist eben etwas Besonderes“, erklärt die Besitzerin.

Der Weinanbau ist der jüngste Höhepunkt der Erfolgsgeschichte Lehmitz. Seit der jährlichen Ernte ist der Wein „das stärkste Zugpferd“, beschert er doch alljährlich große Aufmerksamkeit. „Und wir haben nicht viel Arbeit damit. Das ist ja mittlerweile Wildwuchs“, erklärt die Inhaberin. Schädlinge für Wein gibt es in Hamburg nicht. „Deshalb ist unser Wein auch vollkommen ökologisch“, fügt sie hinzu. Und trinken könne man ihn auch. Ein süßer kräftiger Wein, „mindestens Auslese“, sei ihr „Eimsbütteler Hinterhöfchen“. Erfolgreiches Marketing also. Dabei sei die Ernte gar nicht von Anfang an geplant gewesen, versichert Ursula Lehmitz: „Früher haben das die Vögel gefressen.“

Die resolute Inhaberin hat stets den Ehrgeiz, ihren Gästen etwas Besonderes zu bieten. Neben dem Weingarten ist das ein zur Sitzecke ausgebautes Weinfass. Das sei äußerst beliebt. „Es rufen immer wieder Kunden an und fragen, ob das Fass noch frei ist“, sagt Ursula Lehmitz lachend. Auf den Innenwänden haben sich schon viele Besucher verewigt. „Marion + Hans“ steht in einem Herz unter vielen. „Manchmal rufen Paare an und wollen in dem Fass ihre Silberhochzeit feiern, weil sie sich damals hier verlobt haben“, erklärt die Inhaberin. Geschimpft habe sie nie wegen der Kritzeleien. „Ich gucke nur manchmal, dass keiner etwas Schlimmes schreibt.“

Ursula Lehmitz kümmert sich um ihre Kunden. Schließlich garantieren die den Erfolg des Unternehmens. 13 Stunden arbeitet sie täglich gemeinsam mit Sohn daran, dass aus Gästen Stammgäste werden. An Ruhestand denkt sie noch lange nicht: „Was soll ich denn da? Ich hab zu Hause nur eine Katze und die ist nicht so gesprächig.“

Eine Erfolgsgeschichte also. Bis auf eines. „Die Reben tragen nicht ewig. Deshalb wollen wir immer Wein nachpflanzen, aber der geht jedes Jahr ein. Das wird wohl nichts mehr.“