„Es ist eine politische Entscheidung“

Die Ambulanzen, in denen Junkies unter ärztlicher Kontrolle Heroin gegeben wurde, stehen vor dem Aus. „Für die Patienten ist schrecklich, nicht zu wissen, wie es weitergeht“, sagt Karin Bonorden-Kleij. Die Ärztin leitet die Hamburger Heroinambulanz

INTERVIEW ELKE SPANNER

Frau Bonorden-Kleij, die Bundesregierung hat beschlossen, die Heroinambulanzen zu schließen. War die ganze Arbeit umsonst?

Karin Bonorden-Kleij: Ich würde nicht sagen, dass alles umsonst war. Zumindest nicht für die Patienten, die für die Studie rekrutiert wurden und auch heute noch behandelt werden. Die haben sich gesundheitlich und psychisch stabilisiert.

Werden die jetzt wieder in der Szene landen?

Für die knapp achtzig Patienten, die wir in Hamburg noch behandeln, geht es noch ein halbes Jahr lang weiter. Die Behörde hat uns die Genehmigung dafür gegeben. Wir dürfen nur keine neuen mehr aufnehmen. Jetzt müssen wir sehen, inwieweit wir unsere Patienten im nächsten halben Jahr in andere Substitutionsformen überleiten. Aber vielleicht gibt es ja noch einmal eine andere Entscheidung.

Haben Sie noch Hoffnung?

Hoffnung habe ich schon. Es ist nach wie vor die Frage, ob nicht doch noch ein Gesetzentwurf zur Änderung des Betäubungsmittelrechtes in den Bundesrat eingebracht wird. Ich bin noch optimistisch.

Ziel der Studie war, bei Erfolg die Zulassung von Diamorphin als Arzneimittel zu beantragen. Ist das jetzt noch möglich?

Den Antrag hat das pharmazeutische Unternehmen, das das Diamorphin herstellt, bereits beim Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte gestellt. Und das hat schon mitgeteilt, dass aus pharmazeutischer und toxikologischer Sicht einer Zulassung nichts im Wege steht. Mit anderen Worten: Das Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte befürwortet die Zulassung von Diamorphin. Der Antrag ist aber auf Eis gelegt, weil zunächst das Betäubungsmittelgesetz geändert werden müsste.

Sie sagten, Ihre Patienten müssten in andere Substitutionen überführt werden. Nun wurde die Studie gerade initiiert, weil Methadon bei einem Teil der Junkies nicht erfolgreich ist. Wie ist deren Chance, dass sie jetzt plötzlich damit zurechtkommen?

Es gibt mehrere Substitute für Opiate, neben Methadon auch Polamidon oder Subutex. Aber Sie haben völlig Recht: Wir müssten die Patienten, die vor Eintritt in die Studie erfahren haben, dass sie mit Substitutionsformen nicht klarkommen, in diese zurückführen. Das ist aus ärztlicher Sicht kontraproduktiv.

Was sagen die Patienten dazu? Wie ist die Stimmung?

Die Stimmung schwankt zwischen sehr schlecht und es geht gerade noch. Die Patienten haben sich etwas erarbeitet und eine neue Basis für ihr Leben aufgebaut. Für sie ist schrecklich, nicht zu wissen, wie es weitergeht. Die sehen, dass es ihnen wieder schlechter gehen wird, wenn sie hier nicht mehr herkommen können. Einige deuten auch an, dass das Leben dann keinen Sinn mehr hat. Es zeigen sich latente suizidale Tendenzen.

Was können Sie für diese Patienten noch tun?

Durch die Zusage, dass Hamburg erst einmal noch weitermachen darf, ist die Suizidalität nicht akut. Latent aber gibt es sie durchaus. Die Patienten sind sehr aufgeregt und verunsichert. Wir informieren sie kontinuierlich und zeitnah. Nächste Woche machen wir eine Patientenrunde. Durch den Aufschub bis nächsten Sommer haben wir einen Zeitrahmen, uns mit jedem Einzelnen zusammenzusetzen und die Möglichkeiten zu prüfen.

Nächsten Sommer wird es auch in Hamburg akut. Können Sie den Patienten noch Hoffnung auf eine wirkliche Perspektive machen?

Eine richtige Perspektive können wir ihnen im Moment nicht geben. Die Hamburger Patienten haben selbst schon Kontakt zum Bundesministerium aufgenommen. Wenn von ihnen noch Aktivitäten kommen, werden wir die unterstützen.

Sie hören sich trotz allem optimistisch an.

Als Projektleiterin habe ich die Aufgabe, die Patienten adäquat zu versorgen. Ich muss einen gewissen Optimismus an den Tag legen. Außerdem konnten bisher immer Lösungen gefunden werden, wenn die Zukunft ungewiss war. Auf der anderen Seite finde ich: Es ist sehr viel Geld in dieses Projekt geflossen. Das betrifft auch die Steuerzahler. Diese Behandlung jetzt einfach in Grund und Boden zu stampfen, müsste man erst einmal an die Öffentlichkeit vermitteln.

Ist es für Sie als Ärztin nicht frustrierend, ein wirksames Therapiemittel zu kennen und nicht mehr anwenden zu dürfen?

Natürlich. Einem Diabetiker würde man niemals ein neues Medikament vorenthalten, wenn sich dieses als wirksam erwiesen hat. Aber um medizinische Fragen geht es bei dieser Entscheidung nicht. Es ist eine politische Entscheidung. Das ist für mich als Ärztin schon frustrierend.