Mit Charme, Zahlen und Chuzpe

CHINA-SÜDASIEN Premier Wen Jiabao umschmeichelt Indien mit anerkennenden Worten und Milliardengeschäften und lässt sich anschließend von dessen Rivalen Pakistan hofieren

AUS DELHI GEORG BLUME

Jetzt folgt nach Indien der leichtere Teil: Starfighter am Himmel und 21 Salutschüsse begrüßten am Freitag Chinas Premier Wen Jiabao in Pakistan. Hier gilt China als wichtigster Verbündeter. China-Nachrichten kommen im pakistanischen Fernsehen fast immer vor den Nachrichten über andere Länder. Jetzt erst recht: Wen will in Pakistan Abkommen für den Bau eines neuen Atomkraftwerks und andere Großprojekte unterzeichnen lassen. Vieles davon ärgert Pakistans Erzfeind Indien – besonders, wenn chinesische Firmen die Infrastruktur im pakistanischen Teil Kaschmirs ausbauen – also auf Territorium, das auch Delhi beansprucht.

Wegen solcher Konflikte zwischen Pakistan und Indien meiden ausländische Staatschefs in der Regel Reisen, die sie nacheinander in beide Länder führen. So reiste US-Präsident Barack Obama kürzlich nur nach Indien und sprach dort kaum über Pakistan. Wen wollte es anders: Beiden Ländern stattete er jetzt den zweiten, jeweils dreitägigen Staatsbesuch seiner bislang siebenjährigen Amtszeit ab. Prompt biss sich Indiens Presse am Kaschmir-Disput fest: „Indien und China kommen nicht über Kaschmir weg“, titelte das Wirtschaftsblatt Mint nach Wens Abschied. Anlass bot ein ungelöster Visastreit: China teilte zuletzt nur noch im Sonderverfahren hergestellte Visa für indische Bürger aus Kaschmir aus, als würde China indische Pässe aus Kaschmir nicht mehr akzeptieren. Grund genug für Indiens Premier Manmohan Singh, sich bei Wen persönlich zu beschweren. Doch der hatte beim Besuch in Delhi keine konkrete Antwort. Weshalb Indien im gemeinsamen Kommuniqué des Treffens die übliche Passage über Delhis traditionelle Ein-China-Politik entfallen ließ. Peking sollte damit gewarnt sein – nach dem Motto: wenn ihr an Kaschmirs Zugehörigkeit zu Indien Zweifel sät, stellen wir auf gleiche Art Tibet und Taiwan in Frage.

Doch während sich die öffentliche Reaktion in Indien kleinteilig mit Kaschmir und anderen Grenzstreitigkeiten mit China beschäftigte, lenkte Wen in Delhi davon ab und pochte auf die große Zukunft Indiens und Chinas. Was ein chinesischer KP-Führer sonst nie tut, machte Wen in Delhi: Er sprach live ohne Manuskript „an hunderte von Millionen Fernsehzuschauer in Indien und China“, wie er selbst sein Publikum nannte. Er pries dabei den „Aufstieg Indiens“, den China „heute und in aller Zukunft positiv sehen werde“. Auch bemühte er sich, dem heimischen Publikum in China die Bedeutung und Ebenbürtigkeit Indiens klarzumachen. „Wir sind Freunde und niemals Rivalen“, betonte er mehrmals – im Tonfall ganz anders als Chinas Außenpolitik der letzten Monate, die vor allem gegenüber Japan und Vietnam nahezu hochmütig war.

Was Wens Worten Gewicht verlieh, waren Zahlen: Der Handel zwischen Indien und China boomt, er liegt jetzt schon bei 60 Milliarden Dollar pro Jahr und soll 2015 100 Milliarden erreichen. Zudem vereinbarte Wen bilaterale Projekte im Wert von 16 Milliarden Dollar, Obama hatte vor ihm weit weniger im Gepäck.