Balkan-Beats am Abgrund

PORTRÄT Flowin Immo veröffentlicht mit „Geschlossene Gesellschaft“ ein neues Album. Es ist Zeugnis einer Lebenskrise, während der der Rapper seine Drogensucht und eine psychische Krankheit überwunden hat

„Die Droge war vor allem Auslöser, nicht Ursache“

IMMO WISCHHUSEN

VON THOMAS WINKLER

Ein altes Mietshaus am Rande des Görlitzer Parks. Die Vögel spielen verrückt, weil sie endlich den Frühling begrüßen dürfen, und die Dealer warten stumm auf Kundschaft. Immo Wischhusen braucht von ihnen nichts mehr. Er ist clean. Hat die Sucht hinter sich gelassen, die Depression überwunden und sich von der Manie verabschiedet. Vorerst jedenfalls. „Ich bin nicht therapiert, aber medikamentenfrei“, sagt er und nimmt noch einen Schluck von seinem Spinat-Gurke-Petersilie-Drink. „Nüchtern ist mein neues High.“

Nicht mehr der Alte

Nein, Immo ist nicht mehr der Alte. Nicht mehr der Rapper Flowin Immo, der mit tiefergelegter Stimme die Vorzüge von Marihuanakonsum preist. Das neue Album des gebürtigen Bremers, der seit 2002 in Berlin lebt, dokumentiert eine dramatische Wandlung. „Geschlossene Gesellschaft“ ist eine denkbar radikale und unverhüllte Auseinandersetzung mit der psychischen Krankheit, die heute bipolare Störung heißt, früher Manische Depression genannt wurde und Wischhusen an den Abgrund geführt hat.

Dass er ein Problem hat, weiß Wischhusen, Jahrgang 1975, schon seit Mitte der neunziger Jahre. Seitdem hat er vier „Abflüge“, wie er sie nennt, erlebt. Der erste bedeutete das Ende seiner Band in Bremen: F.A.B., die Freaks Association Bremen, ging im Streit auseinander. Der vorerst letzte Abflug war der längste, kostete Immo alle verbliebenen Freunde, seine damalige Band, und nahezu die Existenz: „Ich bin neun Monate geflogen und dann 30 Monate getaucht.“ Am Ende einer zweieinhalbjährigen Depression brachte der Rapper seine persönlichen Beziehungen wieder in Ordnung, nahm erste neue Stücke auf und kehrte langsam in jenes Leben zurück, das der Rest der Gesellschaft als normal akzeptieren will.

Das neue Album, sein erstes seit 2009, ist nun „die Auseinandersetzung mit einer Gesellschaft, die viele Menschen krank macht“. Denn die Droge, sagt Immo, war vor allem der Auslöser, nicht die Ursache: „Das Kettenkiffen hat mich über die Klippe gestoßen. Die Dosis macht das Gift.“ Die Folge sind nun Songs wie das Titelstück „Bomben im Paradies“ oder „Pinke Pinke“, in denen die moderne Gesellschaft, der Konsumterror und die Überforderung, religiöser Fundamentalismus, Machtpolitiker und der Kapitalismus für das Böse verantwortlich gemacht werden.

Das ist ein Rundumschlag, der bisweilen noch auf drogeninduziertem Größenwahn fußt. Während der manischen Zustände, erinnert sich Immo, habe er sich „erleuchtet“ gefühlt: „Dieses Gefühl universeller Verbundenheit, das als Wahrheit gespürt zu haben, das bereue ich nicht. Aber darauf folgten Unverständnis, Wut und Zorn auf die anderen, die das nicht genauso gesehen haben.“ Organischer wirkt der Rest des Albums, der dem Verlauf der Krankheit folgt. Über Instrumentals, die ein denkbar breites musikalisches Spektrum von Metal über Funk und Balkan-Beats und Sixties-Beat bis zu jazzigem Trip-Hop abdecken, erzählt Flowin Immo von den Höhenflügen und dem Abtauchen ins schwarze Loch danach.

Er erzählt aber auch, wie man wieder heraus kommt aus der Depression und ein neues, anderes Leben beginnt. „Das musste ich jetzt erzählen“, sagt Wischhusen, „nach der langen Abstinenz ist das nötig, eine Platte, auf der ich mich erkläre – mir selber, aber auch meinen Zuhörern.“

Das ist zwar nicht so unterhaltsam wie die Stücke, die man von Flowin Immo bislang kannte. Der war bei Stefan Raabs Bundesvision Songcontest aufgetreten, wurde vom Goethe-Institut als erster deutscher Rapper auf Tournee durch Indonesien und Thailand geschickt. Als „Beat-Dozent“ bringt er in der Berliner Jugendstrafanstalt Plötzensee den Insassen den Umgang mit musikalischem Equipment bei. Gelebt hat Wischhusen in all den Jahren aber trotzdem „immer knapp am Existenzminimum“. Seit er die bipolare Störung halbwegs im Griff hat, versucht er seine Karriere als Rapper wieder in Gang zu kriegen. Demnächst geht er auf Tour mit einer neuen Band. Aber er wartet auch nicht eben dringend auf einen Anruf des Bundesgesundheitsministeriums. „Ich bin nicht der richtige Mann, um Kids ins Gewissen zu reden“, sagt er, „erstens bin ich weiterhin für die Legalisierung, und zweitens finde ich, dass die Medizin viel zu viel mit Chemie zu regeln versucht.“

Kein Therapieplatz

Er selbst hat nur wenige Wochen Medikamente genommen, dann lange vergeblich auf einen Therapieplatz gewartet und sich schließlich selbst aus der Depression gezogen. „Ich suche einen Weg, meinen Zustand nicht als Krankheit zu sehen, sondern als Teil meiner Menschwerdung.“

Vorläufiges Endprodukt dieses Prozesses ist ein Album, das vielleicht nicht durchgehend gelungen, aber in der deutschen HipHop-Geschichte einzigartig ist. Flowin Immo ist nicht der erste, der mit Hilfe von Rap eine psychische Erkrankung zu verarbeiten versucht. Aber er scheint der erste zu sein, dem der Rap die Heilung gebracht hat. Vorerst jedenfalls.

■ Flowin Immo: „Geschlossene Gesellschaft“ (Immonopol/Soulfood) Record Release Party heute um 20 Uhr im SO36, Oranienstr. 190