Das Gutmütige mit dem Bösen gepaart

Er liebte „die guten Dinge“, zum Beispiel seine tägliche Havanna. Dass er sich als Gourmet und Hedonist begriff, war ihm anzusehen. Typisch waren Philippe Noirets Auftritte mit Fliege, Hosenträgern, gestreiftem Hemd und Panamahut. Wie er von sich sagte, ließ er sich vor der Kamera gehen, probierte sich aus und war immer wieder verblüfft über die eigenen Verwandlungen, die er in über 125 Filmen durchmachte.

Philippe Noiret wurde 1930 in Lille geboren, er wuchs in Marokko und Frankreich auf. 1950 nahm er Theaterunterricht bei Roger Blin und wurde bereits 1953 am „Théatre populaire national“ von Jean Vilar aufgenommen. Nach frühen Auftritten, etwa bei Agnes Varda („La Pointe Courte“, 1956), begann er seine eigentliche Filmkarriere als chaotischer Onkel in „Zazie“ (1960) von Louis Malle. Populär wurde er mit seiner ersten Hauptrolle als „Alexander, der Lebenskünstler“ von Yves Robert (1967). Es folgten Engagements in den USA, etwa in Hitchcocks „Topas“. Fortan wurden seine Rollen dunkler, mehrschichtig, sein jungenhaft-gutmütiger Habitus zeigte oft nur die harmlose Tagseite einer abgründigen Morbidität.

Der Regisseur Bertrand Tavernier bezeichnete Noiret, mit dem er sieben Filme drehte, als seinen „autobiografischen Schauspieler“. Für die Rolle des Weltkriegsoffiziers in Taverniers „Das Leben und nichts anderes“ erhielt Noiret den zweiten César seiner Karriere – den ersten französischen Filmpreis bekam er für die Rolle in „Das alte Gewehr“ (1976) von Robert Enrico an der Seite von Romy Schneider verliehen; die von ihm gespielte Figur übt Rache für den Mord an ihrer Familie durch die Nazis.

In den 70er- und 80er-Jahren pendelte er oft zwischen Italien und Frankreich. Die Rolle des bei einem Zelluloidbrand erblindeten Kinovorführers in „Cinema Paradiso“ (1989) von Giuseppe Tornatore zählt zu den großen Erfolgen dieser Phase. Grandios misanthropisch war er in dem Chabrol-Film „Masken“, in dem er den Quotenchampion einer Senioren-Fernsehshow spielte – in diesem Film scheint es niemanden zu geben, der kein Doppelleben führt. Der Schauspieler, der so oft die allzu menschliche Bestechlichkeit verkörperte, hat das Rätsel zwischen den Teilen seiner Rollenpersönlichkeiten aufrechterhalten und die oberflächlichen Unvereinbarkeiten ausgespielt – das Gutmütige, gepaart mit dem Bösen, die Gewalttätigkeit des friedliebenden Ehemanns, die sympathische Autorität der korrupten Amtsperson, das distinguierte Auftreten und den bourgeoisen Habitus tiefsitzender Komplexe und verdrängter Neigungen.

Am Donnerstag ist Philippe Noiret im Alter von 76 Jahren gestorben. JÖRG BECKER