Die Sicht des Amateurs

Zum 14. Mal traf sich am Wochenende die Film- und Videoszene des Ruhrgebiets in Bochum. Seit seiner Gründung im Jahre 1994 hat sich das kleine Festival „Blicke aus dem Ruhrgebiet“ etabliert

Ohne Autodidakten ist die Bildästhetik „Neue Sachlichkeit“ nicht denkbar

VON BERND SCHÄFER

Klingt ja ziemlich altbacken, dieser Name: „Blicke aus dem Ruhrgebiet“. Will so gar nicht passen zum Diskurs in der Kulturmetropole Ruhr, wo darüber sinniert wird, ob ein Zusammenschluss lieber „Ruhrstadt“ heißen soll oder „dotfiftythree“. Doch obwohl an dem „Festival für Video und Film“ der Stallgeruch alternativer Medienöffentlichkeit der Achtzigerjahre haftet, ist es längst zu einer Institution für dokumentarische und experimentelle Filme geworden, die sich der Langeweile des medialen Hier und Heute verweigern und thematisch wie bildlich neue Ansichten provozieren.

Zur 14. Blicke-Ausgabe im Bochumer Kino Endstation trafen sich am vergangenen Wochenende wieder gleichermaßen Professionelle wie Studierende der verschiedenen Medien- und Filmhochschulen an Ruhr und Rhein. Während die Profis hier die Möglichkeit genießen, freie Arbeiten zu zeigen, lassen die Studierenden ihre Semester- und Abschlussarbeiten in Pausengesprächen im immer vollen Kinofoyer kritisieren. Und neben den regelmäßigen Beiträgen aus der Amateurszene etablieren sich mehr und mehr Jugendliche mit Selbstinszenierungen, deren Ästhetik an das Online-Videoportal „YouTube“ erinnert.

Gleich der Eröffnungsfilm stammte aus dieser Kategorie. Der 15-jährige Walid Dost schildert in seinem Streifen eigentlich nur, dass er einen Film über Schlägereien unter Jugendlichen in der Bochumer Betonsiedlung Querenburg machen wollte. In Ermangelung des nötigen Materials überredet er zwei Jugendliche zum Schaukampf – und löst eine Kettenreaktion aus, an deren Ende ein Erwachsener die Polizei ruft. Nur eine Minute brauchte Walid für seine Darstellungen und entwirft dabei einen Assoziationsrahmen, der von Ghettoisierung, Perspektivlosigkeit, Rassismus und willkürlicher Staatsgewalt geprägt ist. Zu Recht wurden Dost und Ibrahim Hoveyes, der sich dem selben Thema aus einer anderen Perspektive näherte, von der Wettbewerbsjury mit Preisen geehrt.

Die gesellschaftlichen Realitäten anders zu begreifen als sie von den politischen und ökonomischen Eliten entworfen werden, das war auch Intention des Agentenkollektivs aus Duisburg, das sich regelmäßig seit Beginn des Festivals im Jahre 1992 mit provokanten Filmen einmischte. Für ihre „Jericho-Verschwörung“, eine intime Auseinandersetzung mit Palästina, wurde das Duo 2002 von der Blicke-Jury ausgezeichnet. Anfang diesen Jahres allerdings verstarb einer der beiden, Friedhelm Schrooten. Er werde fehlen, denn die Agenten und das Festival, so betonte Gabi Hinderberger vom Organisationsteam, hätten sich stets gegenseitig inspiriert. In Kürze wird eine Sammlung der Agenten-Werke erscheinen – zur „Etablierung einer sekundären Wirklichkeit“, wie Robert Bosshard, der zweite Agent, erklärte.

Die Filme der Agenten waren frei von kommerziellen Überlegungen und gängiger Konventionen. Eigenschaften, die oft Amateurfilmen zugeschrieben werden. Schon 1931 formulierte der amerikanische Dokumentarfilmer Robert Joseph Flaherty: „Die Hoffnung der Filmkunst ist der Amateur“, was nicht unbedingt eine Übertreibung ist, denn ohne Autodidakten ist die Bildästhetik „Neue Sachlichkeit“ nicht denkbar. Weshalb sich mehrere Themenkomplexe im Festivalprogramm dem sozialen Konstrukt Amateur widmeten.

Aus der wissenschaftlichen, sprich: trockenen Perspektive spürten ihm die Filmwissenschaftlerinnen Hilde Hoffmann und Eva Hohenberger nach und entlarvten die Amateurfilmpraxis als Kulturtechnik der Erinnerung. Weniger trocken, bei Bier und Chips, zeigten Ralf Forster und Wolfgang Kriener skurrile Schmalfilme und sichteten beim ratternden Geräusch der Filmprojektoren Home Movies aus den Dreißigerjahren, Ladenhüter und andere Zeugnisse der ehemaligen Populärkultur Super 8. Das „Amateurhafte“ stand also im Vordergrund. Naheliegend, dass folglich auch die Jury bei der Preisvergabe solcherlei Beiträge favorisierte.

Neben den „YouTube“-Sprösslingen wurde Michael Maas für seine Dokumentation über jugendliche Brückenspringer und Freizeitpiraten am Rhein-Herne-Kanal ausgezeichnet sowie ‚Home Sweet Home‘ von Sebastian Müller und Paula Hollekamp, ein Beitrag über obdachlose Jugendliche in Oberhausen. Der mit 2.000 Euro dotierte Hauptpreis ging an Karl Tebbe, der mit seinem Animationsfilm den Irrsinn des Irakkrieges kommentierte. Beiträge aus den Genres Experimentelles, Musik, Kunst und Reise hatten indes nur marginale Chancen. Denn Jury-Mitglied Anke Teuber unterstrich abermals: Das Blicke-Festival sei ein „Forum für den Amateurfilm“.