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Die ewig getriebenen Kreaturen

Ihren Abschied von Köln begeht die Direktorin des Kunstvereins, Kathrin Rhomberg, mit einer Ausstellung über drei Künstler aus Österreich und den USA. Die Filmemacher vereint ihr Blick auf menschliches Verhalten – von Hot-Dog-Wettessen bis Halloweenfeiern in einer amerikanischen Vorstadt

Die drei Künstler haben ganz offensichtliche eine Vorliebe für Absonderlichkeiten

von KATJA BEHRENS

Sobald es dunkel wird, geht der Vorhang auf im Kölnischen Kunstverein. Von der Straße aus kann man dann einen Teil der Ausstellung sehen, in der eine ganze Familie großer weißer Ratten auf der Wand des lang gestreckten Raums entlang läuft. Dass hier bloß ein einzelnes Tier im endlosen Kreislauf der Filmschleife unterwegs ist, wird erst allmählich erkennbar. Documenta-Teilnehmer Peter Kogler (geb. 1959 in Innsbruck) hat mit seiner Animation ein eingängiges Bild gefunden für das Getriebensein der Kreatur – und auch für das aktuelle Kunstgeschehen und seine Kritik.

Kurz nachdem die Ratte verschwunden ist, werden in schnellem Wechsel und in unterschiedlicher Fokussierung Köpfe erkennbar, schwarz-weiße, grob gerasterte unscharfe Männerköpfe. „48 Köpfe aus dem Szondi Test“ heißt der 1960 entstandenen Film des österreichischen Experimental- und Underground-Filmemachers Kurt Kren (1929-1998). Die schnellen Schnitte, Mehrfachbelichtungen und Tonspur-Störungen, die die Sprache seiner Filme prägen, sind zur Bild- und Filmästhetik ganzer Generationen von Filmemachern geworden. Nach wenigen Minuten ist die sich auf ein tiefenpsychologisches Verfahren beziehende Kopf-Reihung Krens allerdings vorüber und es zeigt sich ein bizarrer Reigen gruselig maskierter Menschen, die das Spiel mit Tod und Gewalt, wie es jährlich an Halloween zelebriert wird, sehr genüsslich vorführen. Die „Studies for the Spook House“, die der us-amerikanische Künstler Cameron Jamie 2002 in Detroit, Michigan in einer Vorstadtsiedlung gedreht hat, wechseln sich in schneller Folge ab. Nicht gleich ist zu erkennen, dass Horror und Gewalt hier nur inszeniert sind, Jamie lediglich filmt, woran die Leute offensichtliches Vergnügen haben. Das Unheimliche und Abgründige des Maskenspiels könnte freilich dann bedrohlich wirken, wenn es als gesamtgesellschaftliche Persönlichkeitsstörung ernstgenommen würde. So ist, was Jamie erforscht, weniger ein subkulturelles Schattenreich als eine gruftig-morbide Fantasy-Welt.

Cameron Jamie, Peter Kogler, Kurt Kren. Die drei Künstler, die in der Ausstellung „Keine Donau“ im Kölnischen Kunstverein zusammengeführt werden, haben ganz augenscheinlich alle ein Interesse an Verhaltensweisen, Ritualen und Wahrnehmungsmustern der Menschen, an Bildern sozialer Normalitäten ebenso wie an Absonderlichkeiten. Und sie experimentieren alle drei mit dem Medium Film.

Cameron Jamie (geb. 1969 in Los Angeles) etwa dokumentiert mit seinem zweiundvierzig lange Minuten dauernden Videofilm „JO“ eben jene urbane Wirklichkeit, die in der filmischen Dehnung und medialen Aufmerksamkeit all ihre Absurdität offenbart. 2004 hat der Künstler, unermüdlich auf der Suche nach den degenerativen Ausformungen der modernen Gesellschaft, in Orléans und Coney Island gedreht, hat das jährlich stattfindende, grottenlangweilige Tamtam um die historische Johanna von Orléans in seinem Film mit wunderbar dramatischer Musik von Keji Haino unterlegt und so zumindest ein akustisches Erlebnis geschaffen. Der Film geht über in eine ebenso ermüdende Dokumentation des International Hot Dog Contest in Coney Island, wo erwachsene Menschen zwölf Minuten lang so viele Hot Dogs in sich hinein schlingen, wie es nur geht. Dass der kleine dünne Japaner Takeru „Tsunami“ Kobayashi diesen Wettbewerb schon seit sechs Jahren in Folge gewinnt und dabei jeweils seinen eigenen Rekord bricht, scheint seine dicken schwitzenden Mitstreiter nicht zu bekümmern. 2004 war bei 53,5 Wurstrollen Schluss. Jamies rückwärts laufender Film macht nicht gerade Appetit, weckt höchstens Interesse an den ökonomischsten Fresstechniken.

Der Rest der glücklicherweise nicht vollgestopften, sondern vielmehr gut sitzenden Ausstellung lässt den Arbeiten und dem Besucher viel Luft und Raum zur Konzentration. Nur im Keller wird es noch einmal eng und schwül. Hier laufen auf acht nah beisammen stehenden Monitoren Filme von Kurt Kren, die zwischen 1964 und 1967 teilweise in Kooperation mit den skandalverliebten Wiener Aktionisten Otto Mühl und Günter Brus entstanden sind. Es geht überall und immer wieder um sexuelle Obsession, um wild ausgelebte Tabus, aufgepeitschte Sinnlichkeit, um Selbstverstümmelung und Kannibalismus: eine wilde, unverständliche Orgie in einer erstaunlich klaren Ausstellung.

Bis 17.12.2006

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