ABC 2010 brachte uns eine überhitzte Integrationsdebatte – islamische Gene, fruchtbare Kopftuchmädchen und den Evergreen: Deutsch lernen! Zum Entspannen und Angeben hier ein paar Dinge, die Urdeutsche noch lernen könnten

VON TILMAN QUEITSCH

Anga-anga (Osterinseln): Verdacht, man sei Objekt von Gerüchten und Spott geworden. Ein Lebensgefühl deutscher Politiker, die der sogenannten vierten Gewalt, den Medien, gern Hetzkampagnen gegen die eigene Person andichten.

Biritilulo (Kiriwina, Neuguinea): friedliche, volksnahe Lösung für einen Konflikt, der sonst womöglich in Gewalt eskalieren würde. Der Ursprung liegt bei Volksstämmen auf den Trobriand-Inseln, die hitzige Meinungsverschiedenheiten durch den Vergleich ihrer Süßkartoffelernte lösen. Das hat Vorbildfunktion: Es bräuchte keine stundenlangen Schlichtungsgespräche wie beim Stuttgarter Streitbahnhof, die im Livestream das gesamte deutsche Netz zum Gähnen bringen, wenn man sich auf dieses einfache und doch wirkungsvolle Prinzip besinnen würde – S 21, die neue Süßkartoffelsorte aus Schwaben.

Chungo (spanisch): bedeutet gleichzeitig „hässlich“ und „ziemlich schlecht“. Was könnte sich RTL an Sendezeit sparen, wenn Dieter Bohlen zukünftig mit diesem Wort seine Kandidaten abservieren würde? Dafür blieben den Zuschauern allerdings zeitlose Klassiker wie die berühmten Kartoffeln, die bei Gesang des entsprechenden Kandidaten freiwillig geschält aus dem Keller kommen, erspart.

Davka (hebräisch): kann „genau“ und „im Gegenteil“ bedeuten. Die deutsche Sprache ist sehr darauf bedacht, alles genauestens zu beschreiben, dagegen ist dieses vielseitige Wort ein wahres Plädoyer für Interpretationsfreiraum.

Farpotschket (jiddisch): für etwas, das „kaputtrepariert“ wurde. Von politischen Großthemen wie Rente mit 67 und der Gesundheitsreform bis hin zum Küchenabfluss, den wir doch so gern selbst abdichten wollten – dieses Wort ist unentbehrlich.

Gotong-royong (indonesisch): Konzept, nach dem eine große Gruppe für ein gemeinsames Ziel zusammenarbeitet oder sich gemeinsam hilft. Mehr als Teamwork, weil das Wort „gotong“ wörtlich „eine schwere Last zusammen tragen“ bedeutet. Womöglich der geheime Masterplan, der sich hinter Bundestrainer Joachim Löws eisern konzentrierter Miene verbirgt.

Ilunga (Tschiluba, Kongo): Person, die sich ein erstes Mal ausnutzen lässt und auch ein zweites, aber kein drittes Mal toleriert. Könnte eine gute Bezeichnung für Wähler sein, die es sich nach zwei Legislaturperioden anders überlegen. Nicht wahr, liebe FDP?

Esperar (portugiesisch): heißt sowohl warten als auch hoffen. Für die Jammerdeutschen der Vergangenheit zwei ganz verschiedene Dinge. Neueste Umfragen zeigen aber: Wir freuen uns aufs nächste Jahr und das trotz durchschnittlich 20.000 Euro Schulden pro BürgerIn.

Jolie laide (französisch, häufig im englischen Sprachgebrauch): heißt wörtlich übersetzt „hübsch hässlich“. Für Mädchen und Frauen, die nicht nach gängigen Schönheitsidealen, sondern auf ihre eigene Art hübsch aussehen. Ein schönes Mitbringsel für die Pop-Debatte, weil es so schön das Changieren der Lady Gaga zwischen Star und Monster beschreibt. Gendermodifiziert auch anwendbar auf Wikileaks-Anführer Julian Assange.

Karoshi (japanisch): Tod durch Überarbeitung. Was sagt es bitte über die deutsche Arbeitsmoral, dass es in der Sprache kein eigenes Wort dafür gibt? Überfälliger Import aus Japan.

Lagom (schwedisch): sagt „gerade richtig“ oder „ein gutes Mittelmaß“ in einem Wort. Da die Deutschen wahlweise beklagen, keine Eliten zu haben beziehungsweise keine neuen züchten zu können, ein schönes Wort für ein Miteinander ohne Standesdünkel.

Hakamaru (Osterinseln): wenn sich jemand mit empörender Selbstverständlichkeit Sachen borgt oder ausgeliehene Gegenstände so lange behalten werden, bis der Besitzer sie zurückverlangt. Gerade in dieser Zeit ein notwendiger Begriff, in der sich Deutschland als Zechezahler für andere Länder – wie Griechenland und Irland – sieht, die in den EU-Sparstrumpf greifen.

Nunchi (koreanisch): durch Wachsamkeit scharfsinnig die Launen eines anderen Menschen einschätzen können. „Einfühlsamkeit“ gibt es zwar, wäre aber eine schwache deutsche Alternative, da hinter Nunchi auch ein gewisses Kalkül steckt. Ein Konzept, dass in keiner deutschen Ehe fehlen sollte.

Officials (englisch): Nicht wirklich Beamte, nicht wirklich Offizielle und nicht wirklich Regierungsvertreter. Was sind sie dann? Officials! Endlich lässt sich die gesamte deutsche Bürokratie kurz und knackig in einen Topf werfen.

Pochernuchka (russisch): jemand, der zu viele Fragen stellt. Noch einzuführender Begriff für weltmännische Debattenkultur, wenn mal wieder Journalisten oder Oppositionelle verschwinden, ganz aktuell in Weißrussland oder auch im Iran.

Qualunquismo (italienisch): grundsätzliches Misstrauen gegenüber der Politik, weil eh alles Lug und Trug ist. Das Deutsche kennt nur die nächste Phase, die hier je nach Experte schon angebrochen ist oder bald anbricht – „Politikverdrossenheit“.

Milusinscy (polnisch): bedeutet in etwa „kleine Kinder, die sehr lieb und brav sind“. Das können Kinder auch sein, trotz all der Horrorgeschichten über angebliche Brutalo-Schulen in Berlin-Neukölln und Büchern darüber, wie man sich gegen verzogene Tyrannenbälger wehrt.

Ta’arof (persisch): „Ta’arof machen“ bedeutet, aus Höflichkeit etwas anzubieten, von dem man eigentlich hofft, dass es abgelehnt wird. Exakte Beschreibung gespielter Höflichkeiten: der angebotene Kuli unter Kollegen, die Umzugshilfe unter Nachbarn oder Offerten zum Dialog über Integration – obwohl man eigentlich nur über Muslime meckern will.

Wei-wu-wei (chinesisch): bewusst nichts tun. Von Kanzlerin Angela Merkel seit Jahren praktiziert. Die Chinesen können das allerdings ganz offenbar besser, den sie haben Deutschland vor einigen Monaten als größte Exportnation abgelöst.

Rembucher (französisch): Wild in den Wald zurückjagen. Wenn wir den nächsten Knut, den nächsten Bruno oder welches nächste Vieh auch immer sehen, wissen wir jetzt, was zu tun ist!

Shibui (japanisch): die Schönheit des Alterns. Da die deutsche demografische Bevölkerungsstruktur immer weniger einer Pyramide und immer mehr einer Urne gleicht, ist das auf jeden Fall ein Wort, mit dem wir uns wohl oder übel anfreunden müssen.

Umpihanki (finnisch): Tiefschnee ohne Straße oder Pfad darunter. Aktuell ein nützliches Wort. Bis man als deutscher Beifahrer erklärt hat, wo die Straße aufhört und Umpihanki anfängt, könnte der Wagen allerdings schon im Graben liegen.

Yakamoz (türkisch): leuchtende Spur, die entsteht, wenn sich der Mond nachts auf Seewellen spiegelt. Für die deutsche Entsprechung des Gefühls bitte die „Caprifischer“ ansingen.

Zakuska (russisch): Essen, das zusammen mit Alkohol verzehrt wird, um dessen Effekt hinauszuzögern. Heißt wörtlich „das Nachessen“. Brauchbarer Sammelbegriff für alles, was hier zum Kulturgut Bier gereicht wird. Prost!