Alexis Tsipras will jetzt viel mehr

GRIECHENLAND Der Chef der griechischen Linksopposition Syriza und Gewinner der EU-Wahl fordert Neuwahlen. Die Regierung wirft ihm deshalb Verfassungsverstoß vor

■ Aufstieg: Podemos (zu Deutsch: „Wir können“) ist ein linkes Bündnis, das sich erst im Januar gegründet hat. Sein Ergebnis war die große Überraschung in Spanien. Podemos zieht mit fünf Abgeordneten in das Europaparlament ein. Die Vereinigte Linke konnte die Zahl ihrer Europamandate verdreifachen und schickt nun sechs Abgeordnete nach Brüssel beziehungsweise Straßburg. Die Konservative Volkspartei (PP) erzielte mit 23 Prozent (16 Mandate) das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte. Auch die Sozialdemokraten der PSOE stürzten regelrecht ab und verloren neun Mandate. Sie stellen im neuen Europaparlament nur noch 14 Abgeordnete.

AUS ATHEN JANNIS PAPADIMITRIOU

„Am Sonntag gehen wir wählen, am Montag werden sie gehen“, hieß es bei allen Wahlkundgebungen der Linkspartei in Griechenland. Diese Drohung galt den seit Juni 2012 gemeinsam regierenden Konservativen und Sozialisten. Und sie wird nach wie vor in Griechenland formuliert – vor allem von der Partei der Linksopposition.

Doch so schnell konnte ihr Chef, Alexis Tsipras, einen Regierungswechsel im krisengebeutelten Land natürlich nicht einleiten. Und dennoch: Deutlicher als je zuvor ruft der Syriza-Vorsitzende nach seinem klaren Sieg bei der Europawahl zu vorgezogenen Wahlen des nationalen Parlaments auf. Am Tag nach den EU-Wahlen hat Tsipras sein Anliegen auch dem Staatspräsidenten Karolos Papoulias eilends vorgetragen. Der schwieg der Sache nach, will jedoch in dieser Woche noch den konservativen Ministerpräsidenten Antonis Samaras und den sozialistischen Vizeregierungschef Evangelos Venizelos konsultieren.

Politik aus der Position der Stärke heraus

Anders formuliert: Seit Sonntag befindet sich Griechenland wieder im Dauerwahlkampf, heißt es in Athen. Der Grund: Im März 2015 müsste das Parlament in Athen einen neuen Staatspräsidenten wählen – und eine politische Mehrheit für einen Kandidaten ist nicht in Sicht.

Für die Wahl des Staatsoberhaupts gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder wird das Parlament aufgelöst; dann käme es ohnehin zu vorgezogenen Parlamentswahlen. Oder Alexis Tsipras erklärt sich bereit, gemeinsam mit den bürgerlichen Parteien den geeigneten Kandidaten zu unterstützen, um sich und dem Land einen neuen Wahlgang zu ersparen.

Doch warum sollte er das tun? Aus einer Position der Stärke heraus geht der Oppositionschef derzeit lieber auf Konfrontationskurs und verlangt Neuwahlen. Sein Argument: Aufgrund der Wahlergebnisse vom Sonntag hätte seine Linkspartei eigentlich fast doppelt so viele Sitze im griechischen Parlament wie die Konservativen. Davon will Regierungssprecher Simos Kedikoglou allerdings nichts wissen: „Am vergangenen Sonntag hat das Volk über seine Vertreter im Europäischen Parlament und nicht etwa über die Regierung entschieden“, ließ er gegenüber Tsipras verlauten.

Vizeregierungschef Venizelos greift den linken Oppositionschef mit seinem Ruf nach vorgezogenen Neuwahlen frontal an: Sie verstießen gegen die griechische Verfassung, allein durch seinen Vorstoß habe Tsipras den Staatspräsidenten in eine schwierige Lage gebracht, so Venizelos in gewohnt belehrender Manier die Öffentlichkeit.

Die Regierung Samaras soll ihre Politik mildern

„Bei der Europawahl hat Syriza einen deutlichen Sieg errungen. Dennoch ist die Regierungsmehrheit in den nächsten Monaten nicht in Gefahr“, kommentiert am Montag die Athener Zeitung Ta Nea. Das wäre gut möglich, denn selbst Tsipras hat nach seinem Treffen mit dem griechischen Staatspräsidenten doch noch andeuten lassen, dass er sich zumindest für ein paar Monate (sprich: bis März 2015) gedulden könnte.

Für diesen Fall zieht er jedoch mehrere rote Linien, die dem griechischen Ministerpräsidenten die Hände binden: Samaras sollte „nicht einmal daran denken“, neue Sparmaßnahmen anzukündigen, zugesagte Privatisierungen voranzutreiben und Grundstücke in Luxuslagen, etwa griechische Strände, zu veräußern, warnte der Oppositionschef vor den Kameras des griechischen Fernsehens.

Ohne seine Zustimmung werde auch nicht der neue Chef der griechischen Zentralbank und der neue griechische EU-Kommissar bestimmt, ließ Tsipras die Regierungskoalition wissen. Für beide Posten ist unter anderem Finanzminister Jannis Stournaras im Gespräch, falls Samaras in den nächsten Tagen oder Wochen eine Regierungsumbildung vornimmt.

Auch Sozialistenchef Venizelos hätte dem Vernehmen nach nichts dagegen, nach Brüssel weggelobt zu werden.