Nilgün und ich beim Bier

Vom Okzident in den Orient (6): Auf der Flucht vor meinem muslimischen Freund, unter dem Reisebus

Endlich die Einfahrt nach Istanbul. Da wir im Dunkeln ankamen und unbedingt sofort ein bisschen von der Innenstadt sehen mussten, campierten wir direkt in der City vor der Universität.

Wäre eigentlich nicht gegangen und wenn, dann hätte es viel Geld auf dem Parkplatz gekostet, aber unser Reisechef überzeugte den Nachtwächter, uns, ihn, den Bruder, der zum Ramadan nach Arabien muss, ausnahmsweise einmal schlafen zu lassen. Leider stritt ich mich in dieser Nacht wegen irgendeiner vermeintlich gottgegebenen Vorschrift für Frauen so sehr mit meinem muslimischen Freund, dass ich seine Anwesenheit nicht mehr ertragen konnte, weshalb ich mich unter dem Bus zum Schlafen einrichtete.

Da lag ich dann auf meiner Iso-Matte, das CS-Gas fest umklammert, und konnte in der lauten Stadt nicht schlafen, vor allem aber, weil ich so wütend war. Na, mein Trotz ging genau bis zum Morgengrauen, als die ersten der zahllosen Muezzine im Viertel Sultanahmet-City anfingen, zum Gebet zu rufen und der städtische Busverkehr wieder einsetzte.

Leicht ölverschmiert kletterte ich in den Bus zurück, um berührungsfrei meinen engen Platz neben dem Verfechter der geschlechtlichen Verschiedenheit einzunehmen. Ich wollte nur nach Hause, alleine weiter oder in ein Hotel, für das mir leider das Budget fehlte …

Als ich am nächsten Tag alleine durch die Stadt zog, sprach mich eine nette junge Frau, Nilgün, an. Erst wollte sie mir Teppiche und Leder verkaufen, dann plauderten wir aber so nett, dass die in Hamburg Aufgewachsene beschloss, ihren Arbeitstag zu beenden und mit mir Bier zu trinken. Es war noch taghell, fast alle Restaurants hatten geschlossen, und man konnte kleine Jungs an Brunnen beobachten, die so taten, als würden sie ihre Gesichter waschen, in Wirklichkeit aber nur einen verbotenen Schluck Wasser erhaschen wollten. Ganz anders als im Vergnügungsviertel Taksim, das mit seinen zahllosen Bars, Restaurants und Diskotheken nahezu rund um die Uhr am Brodeln ist.

Die Damen in Taksim gehen in tagsüber geöffnete Diskos, da Väter, wie bei der 32-jährigen Nilgün, durchaus „zehn Uhr“ als Nachhausegehzeit vorschreiben.

Nach ein paar Bier „vor zehn“ holte mich mein Araber mit dem Motorrad ab. Während Nilgün uns was zu rauchen besorgte, bekam er in einem islamischen Restaurant eine Lammkeule geschenkt, das kann im Ramadan passieren. Meine Toleranz war zum Glück wieder so weit hergestellt, dass ich mich auf die Weiterfahrt freuen konnte: fünf Tage durchs türkische Hochland.

CARETTA VAN BANGO