Fußfesseln funktionieren nicht

STRAFVOLLZUG Nachdem ein entlassener Sexualstraftäter, der eine elektronische Fußfessel trug, mehrmals gegen Auflagen verstoßen hat, würden die Hamburger Grünen diese Art der Überwachung am liebsten abschaffen. Dazu sieht die Justizbehörde jedoch keinen Anlass

■ Geregelt ist die elektronische Aufenthaltsüberwachung, umgangssprachlich elektronische Fußfessel, seit 2011 bundesweit.

■ Voraussetzung ist unter anderem, dass eine Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren vollständig vollstreckt oder eine Maßregel wie die Sicherungsverwahrung beendet ist. Außerdem muss weiter die Gefahr schwerer Straftaten bestehen.

■ Über die Einrichtung einer Gemeinsamen Überwachungsstelle (GÜL) für elektronische Fußfesseln“ haben inzwischen alle Bundesländer einen Staatsvertrag unterzeichnet. Ihr Sitz ist in Hessen.

■ In Skandinavien wird die Fußfessel benutzt, um Ersttäter zu bestrafen, ohne durch einen Gefängnisaufenthalt weiteres Kriminalitätspotenzial zu schaffen.

VON FRIEDERIKE GRÄFF

Ginge es nach den Hamburger Grünen, sollte die Stadt aus dem Staatsvertrag zur elektronischen Fußfessel aussteigen. Ihr justizpolitischer Sprecher Farid Müller hält die Fußfessel, die korrekt „elektronische Aufenthaltsüberwachung“ heißt, für ein „Spielzeug“, das die Justizbehörde trotz erwiesener Untauglichkeit nicht aufgeben will. Ausgangspunkt für Müllers Vorstoß ist der Fall des ehemaligen Sexualstraftäters B., der mit einer elektronischen Fußfessel ausgestattet innerhalb von acht Monaten 78-mal gegen seine Führungsauflagen verstieß – dazu gehörte, dass er 15-mal die Akkus der Fußfessel nicht auflud. Im März geriet er in den Verdacht, eine weitere Straftat begangen zu haben.

Laut Antwort des Hamburger Senats auf Müllers Kleine Anfrage hat die Stadt seit 2011 rund 180.000 Euro für vier elektronische Aufenthaltsüberwachungen bezahlt – rund 60.000 Euro sind jährliche Fixkosten, die an die gemeinsame elektronische Überwachungsstelle in Hessen gezahlt werden. Müller würde das Geld lieber in Resozialisierungsprogramme investieren. Er kritisiert, dass die Fallkonferenz, die bei B. das Tragen einer elektronischen Fußfessel empfahl, „komplett daneben“ gelegen habe. Dieser sei Alkoholiker, daher seien „Probleme mit dem Fußfesseleinsatz absehbar“.

Der Sprecher der Justizbehörde Sven Billhardt weist die Vorwürfe zurück. Die Weisung, eine Fußfessel zu tragen, sei vom Oberlandesgericht angeordnet worden. Dies habe die Fußfessel bei B. deshalb als sinnvoll erachtet, weil er bei seinen beiden Sexualstraftaten große Mühe darauf verwandt habe, sie heimlich zu begehen. Daher sei die Prognose erfolgt, dass das höhere Entdeckungsrisiko B. „von weiteren Straftaten abhalten kann“. Das Argument, dass eine Alkoholerkrankung grundsätzlich gegen die elektronische Fußfessel spreche, lässt er nicht gelten. Gutachtern zufolge sei sie wegen der damit verbundenen Kontrolle sogar suchtmedizinisch sinnvoll.

Der von der Justizbehörde erhoffte Abschreckungseffekt ist schwer nachzuweisen. Farid Müller zumindest sagt, dass die elektronische Aufenthaltsüberwachung „den Praxistest nicht bestanden hat“. Bei den bislang vier Hamburger Fällen – erwartet hatten die Behörden 20 pro Jahr – hat eine Person erfolgreich gegen das Tragen der Fessel geklagt, eine weigert sich, sie anzulegen und eine weitere hat das Land verlassen.

Farid Müller sieht darüber hinaus in B.s Entwicklung seit seiner Entlassung ein eklatantes „Versagen von Staatsanwaltschaft, Fallkonferenz und Amtsgericht“. Diese hätten viel früher auf B.s fortgesetzten Alkoholkonsum reagieren müssen. Das sieht man in der Justizbehörde anders: „Dafür müssen die rechtlichen Grundlagen gegeben sein“, sagt Behördensprecher Billhardt. Die Einweisung in eine geschlossene Therapieeinrichtung sei erst möglich, wenn die betreffende Person die strafrechtlich relevanten Verstöße gegen die Führungsaufsicht im Zustand der verminderten Schuldunfähigkeit begangen habe. Um dies festzustellen, bedürfe es eines psychiatrischen Gutachtens. Bei B. dauerte es vier Monate, bis dies vorlag.

Den Vorwurf, mit der elektronischen Fußfessel werde Augenwischerei betrieben, weist das Justizressort zurück. „Es ist kein Allheilmittel“, sagt Billhardt, „sondern in geeigneten Fällen ein Beitrag zu mehr Sicherheit.“ Eine Evaluation zu den Erfahrungen mit der Fußfessel gibt es in Hamburg nicht, ebensowenig in Niedersachsen, wo man sie sich bei der Einführung vorgenommen hatte. Da es dort bislang nur zwei Fälle gibt, ist die Auswertung auf 2015 verschoben.

Als Reaktion auf den Fall B. will sich Hamburg bei der Justizministerkonferenz für eine Weiterfassung der Gründe für Untersuchungshaft einsetzen: Die Minister sollen überlegen, ob künftig wiederholte Verstöße gegen Weisungen der Führungsaufsicht eine Wiederholungsgefahr begründen können – und damit in Verbindung mit einem dringenden Tatverdacht einen Grund für Untersuchungshaft.