„Und dann heißt es: Aids-Schlampe“

Für viele Menschen ist Aids noch immer ein mit Angst beladenes Tabu, sagt die Psychologin Gudrun Kamp

taz: Frau Kamp, viele Sozialarbeiter raten den Eltern HIV-infizierter Kinder die Krankheit zu verheimlichen. Ist Aids immer noch ein Tabu?

Gudrun Kamp: Meine Erfahrung aus 15 Jahren Beratungspraxis ist, dass die Umwelt leider oft mit Schrecken reagiert. Die wenigsten können mitfühlend und unterstützend darauf eingehen, wenn sie hören, jemand ist HIV-positiv. Es gibt Ausnahmen, aber die meisten Leute erschrecken erst einmal und ziehen sich zurück.

Werden HIV-Infizierte immer noch stigmatisiert?

Auf jeden Fall. Wir hören immer wieder, dass Jugendliche von einem Tag auf den anderen auf dem Schulhof wegen ihrer Infektion angemacht werden. Da heißt es dann „Aids-Schlampe“ und Schlimmeres. Gerade in der Pubertät, wenn es Streit unter Jugendlichen gibt, wird dieses Wissen gegen die betroffenen Mädchen eingesetzt.

Und was hören Sie von den Erwachsenen mit HIV?

Da gibt es unterschiedliche Geschichten. Die meisten versuchen jedenfalls, ihre Krankheit geheim zu halten oder es nur ganz, ganz guten Freunden zu erzählen. Aber auch da hören wir immer wieder, dass im Streit dieses Wissen benutzt wird, um eine Art Rufmord zu betreiben. Das ist zwar die extreme Seite, aber es passiert oft.

Wie erklären Sie sich das: Sind 25 Jahre Aids-Aufklärung gescheitert?

Gescheitert würde ich nicht sagen. Aber in gewisser Weise bleibt Aids bei vielen doch ein Tabu, weil die Übertragung zumindest bei Erwachsenen etwas mit Sexualität zu tun hat. Dadurch wird Aids immer noch in die Schmuddelecke gestellt.

Könnte das ein Grund dafür sein, dass die Zahl der Neuinfektionen in NRW steigt?

Ja, das hängt sicher auch damit zusammen. Obwohl in meine Beratung auch Jugendliche kommen, die sich gut überlegen, wann sie Sex haben und die so klug sind, vorher einen HIV-Test zu machen. Aber das ist nicht unbedingt die Regel. Und natürlich ist der Grad der Aufklärung auch eine Frage des Bildungshorizonts: Viel hängt davon ab, wie offen die Eltern über Sexualität und Aids reden.

Was muss geschehen, damit HIV-Infizierte gesellschaftlich akzeptiert werden?

Ich denke, die Akzeptanz geht nur über persönliche Beziehungen, über Verständnis auf der Basis von guter Freundschaft. Und darüber, dass man positive Geschichten des Verstehens weiter erzählt. Aber leider muss man immer auch Negatives erzählen: dass Leute mit Abscheu reagieren, mit Angst. INTERVIEW: SUSANNE GANNOTT