„Import ist Entwicklungshilfe“

Internationale Zuckerexperten treffen sich ab heute in Hannover. Welthandels-Expertin Kerstin Lanje erklärt, wo Produzenten in Europa und dem Rest der Welt gleiche Interessen haben – und wo nicht

VON STEPHAN KOSCH

taz: Frau Lanje, auf einer Tagung in Hannover treffen sich heute und morgen Zuckerexperten aus den Industrie- und den Entwicklungsländern. Sie werden dabei von Ihren Erfahrungen aus dem Zuckerdialog von Germanwatch berichten können. Was war die Idee dieser Veranstaltungsreihe?

Kerstin Lanje: Ausgangspunkt war die Änderung der europäischen Zuckermarktordnung im vergangenen Jahr. Die hatte nicht nur Auswirkungen auf die Rübenbauern und Zuckerindustrie in der EU, sondern auch in den Entwicklungsländern und den ehemaligen europäischen Kolonien in Asien, der Karibik und dem Pazifischen Raum, den so genannten AKP-Staaten. Denn sie konnten bisher zu Vorzugsbedingungen festgelegte Mengen Zucker nach Europa exportieren. Wir haben die Betroffenen mit Politikern und Wissenschaftlern an einen Tisch gebracht und geschaut, welche Auswirkungen die neue Zuckermarktordnung auf die Betroffenen hat.

Gibt es denn gemeinsame Probleme der Zuckerwirtschaft im Norden und Süden?

Beide Seiten leiden natürlich unter den beschlossenen Preissenkungen in der EU. Bis vor kurzem wurde in Europa ja für Zucker bis zu 300 Prozent mehr bezahlt als auf dem Weltmarkt. Das war ein wichtiger Beitrag zur Armutsbekämpfung in den Ländern des Südens. Jetzt werden die Preise schrittweise um insgesamt 36 Prozent sinken. Eine schwere Belastung für die AKP-Staaten. Aber auch in Europa sehen viele Rübenbauern ihre Existenz wegen sinkender Einnahmen gefährdet.

Also waren sich Nord und Süd in diesem Punkt einig?

Nur zum Teil. In Europa wird Zucker schon als Instrument der Entwicklungshilfe gesehen. Allerdings hat das Verständnis auch seine Grenzen. Die Landwirte im Süden sehen, dass die Bauern in der EU viel höher für ihre Einnahmeausfälle entschädigt werden als sie. Und die europäischen Produzenten wollen ihre Quoten nicht senken, um höhere Exporte aus dem Süden zu ermöglichen. Dabei wäre das sinnvoll. Statt in Europa teuren Rübenzucker über Bedarf zu produzieren, könnten wir mehr Rohrzucker aus den AKP-Staaten importieren und das Land hier anders nutzen.

Diese Chance wurde bei der neuen Zuckermarktordnung vertan. Was kann man jetzt noch tun?

Zurzeit verhandelt die EU mit den AKP-Staaten darüber, wie sie sich auf die neue Zuckermarktordnung einstellen können und wie viel Geld sie dafür aus der EU bekommen. Doch die Gespräche finden in der Regel unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Dabei wäre es wichtig, dass zum Beispiel die Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen (NGOs) des Südens miteinbezogen werden, damit die Zahlungen auch an Sozial- und Umweltstandards geknüpft werden. Hier können deutsche NGOs zum Beispiel Druck auf die EU ausüben und für mehr Transparenz sorgen.

Und der Verbraucher?

Den größten Teil des Zuckers konsumieren wir über Süßwaren und Getränke, da hat der Verbraucher nur bedingt Einflussmöglichkeiten. Aber wenn er selbst den Zucker kauft, sollte er zu fair gehandeltem Rohrzucker greifen. Auch damit lässt sich das Weihnachtsgebäck süßen.