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Isländer kaufen West Ham United – der siebte Premier-League-Verein ist damit in ausländischer Investorenhand

LONDON taz ■ Das Schlimmste blieb Carlos Tévez erspart. Nach seiner Auswechslung beim 1:0 gegen Sheffield United war der Argentinier vor dem Schlusspfiff nach Hause gefahren – ein Affront. West Hams Trainer Alan Pardew überließ der Mannschaft die Festlegung des Strafmaßes, und die Kollegen votierten für drakonische Sanktionen: Tévez musste 1.000 Pfund spenden – und im Brasilien-Tikot trainieren. „Meine Mitspieler haben Sinn für Humor“, sagte der betroffene Stürmer, „aber ich habe ihnen klar gemacht, dass so etwas unter keinen Umständen geht.“ Seine Sozialisation im Londoner East End macht wenig Fortschritte. Landsmann Javier Mascherano hat seit Ende Oktober überhaupt kein Spiel für die Hammers bestritten.

Das Leid der beiden könnte aber bald ein Ende haben. Im Sommer hatte sie der Anglo-Iraner Kia Joorabchian in einem nebulösen Deal nach London transferiert; heute weiß man, dass er damit die Übernahme von West Ham forcieren wollte. Doch seinem Geldgeber, dem israelischen Immobilienspekulanten Eli Papouchado, war letztlich der Preis zu hoch. So kam vergangene Woche Eggert Magnusson (59) zum Zug. Der Isländer, ein ehemaliger Keksfabrikant, kassierte den Traditionsklub für 125 Millionen Euro und übernahm die Verbindlichkeiten von 34 Millionen Euro. Der Kahlkopf ist den Fans als neuer Herr willkommen. Er genießt als langjähriger Präsident des isländischen Fußballverbands und Mitglied des Uefa-Exekutivkomitees einen guten Ruf. Dem früheren Besitzer von United, Terry Brown, weint man eh nicht nach. Er galt den Anhängern als Abzocker, der sich eine goldene Nase verdiente, während große Talente wie Rio Ferdinand oder Joe Cole verkauft wurden. Magnusson, so die Hoffnung, bringt nun neues Geld für neue Spieler mit.

Vor lauter Freude wurde im East End übersehen, wer den Deal eigentlich finanzierte. Magnusson ist kaum mehr als ein Strohmann, der wahre neue Ober-Hammer heißt Björgolfur Gudmundsson. Der Besitzer von Islands zweitgrößter Bank hat mit Geschäften in Russland ein Milliardenvermögen verdient; zuvor war er wegen Veruntreuung zu einer Gefängnisstrafe auf Bewährung verurteilt worden. Ihm geht’s ums Geschäft, nicht um ein Hobby. „Der englische Fußball ist hochwertiges Entertainment, wie Hollywood. Es gibt einen großen Fernsehvertrag und viele kommerzielle Möglichkeiten“, sagte sein Sprecher. Gudmundsson wird versuchen, mit West Ham 2012 ins neue Olympiastadion zu ziehen und das alte Stadiongelände in Wohnbaugelände umzuwandeln. Wert des Grundstücks: über 30 Millionen Euro.

Obwohl nun schon der siebte Premier-League-Verein in ausländische Hand übergegangen ist, reagiert der Verband hilflos. Der Vorsitzende der Football Association, Brian Barwick, sagte, ihm seien die Hände gebunden: „Das Thema ist sehr emotional, aber wir können niemanden wegen seiner Nationalität oder anderen unerheblichen Dingen diskriminieren. Fußballvereine werden nicht nur von uns reguliert, es gilt auch das Firmen- und Börsenrecht.“

Die FA verbietet zwar Personen mit Vorstrafen die Ausübung eines hohen Amtes sowie die Investition in einen Verein, doch Gudmundsson ist von dieser Klausel nicht betroffen. Sie gilt erst seit 2004, nicht rückwirkend. Seine Verurteilung liegt schon 15 Jahre zurück. Der Ausverkauf in der Premier League wird munter weitergehen. Eine britische Investorengruppe erwägt zurzeit ein Angebot für Newcastle United; der US-Millionär George Gillett kämpft mit einem Scheich aus Dubai um die 300 Millionen Euro teure Übernahme des FC Liverpool.

Englands Fußball hat sich vor langer Zeit dem Markt geöffnet. Jetzt, da die Weltwirtschaft boomt und privates Großkapital nach Geschäftsideen sucht, nimmt sich der Markt das, was er kann. Die mittelständischen Unternehmen mit dem kickenden Personal bieten zwar kein rasantes Wachstum – sie können auch keine Filialen eröffnen –, aber die stabilen Besucherzahlen und der märchenhafte Fernsehvertrag (3,6 Milliarden Euro bis 2010) garantieren einen Cash-Flow, mit dem sich die Investition gegenfinanzieren lässt. Das Geschäftsklima in der Branche ist also günstig wie nie. Die alten Eigentümer, die den Crash um die Jahrhundertwende überstanden haben, kommen nun überall in Versuchung.

Leute wie Joorabchian haben deswegen wenig Zeit zu verlieren. Er hält die Transferrechte an Mascherano und Tévez, im Januar dürfte er versuchen, sie woanders als trojanische Pferdchen zu platzieren, um den Klub später zu übernehmen.

RAPHAEL HONIGSTEIN