Initiative Gegen Abschiebehaft

Seit 1994 strahlen sie eine klare Botschaft aus: Abschiebung abschaffen! So klopfen sie nicht zuletzt auch an die Mauern in unseren Köpfen

Workshops (u. a. für Schulklassen):

bakker@sichtbar-werden.de

Schulmaterial zum Download:

www.sichtbar-werden.de/

Ausstellung einladen:

„Auf gepackten Koffern“

www.fluechtlingsrat-

berlin.de/abschiebehaft.php,

Fon: (0 30) 2 43 44-57 62

Regelmäßige Treffen:

Jeden Montag der ungeraden Kalenderwochen, 19 Uhr, Colbestr. 19

in den Räumen von ARI

Im Netz:

initiative-gegen-abschiebehaft.de

Bei unserer Geburt sollten wir eigentlich alle gleich sein. Eigentlich. Dass aber schon dann manche gleicher sind als andere, das wird in unseren Pässen kleinlich dokumentiert. Kaum möglich, das einem Kind zu erklären, ohne irgendwann zu sagen „das ist nun mal so“ – die Idee eines Nationalstaates, der Kodifizierung der Menschen anhand derer Papiere und vor allem: den Konsequenzen, die diese Erfindung mit sich bringt.

Und irgendwo wissen mittlerweile alle von Abschiebung, auch die, die nicht davon betroffen sind. Doch wahrscheinlich kommen die Informationen darüber meistens auf die innere Liste des „gefühlt nicht Änderbaren“ und werden von dort in die kollektiven Verdrängungssysteme des Alltags gelagert. Ein unangenehmes Bild unserer Psyche in der Festung Europa.

Die Initiative gegen Abschiebehaft konfrontiert sich mit eben dieser absurden und zugleich unmenschlichen Realität. 1994 entstanden, arbeiten momentan 15 Menschen jeglicher Couleur aktiv gegen Abschiebung. Sie nehmen die „eigene Verantwortung als mündige Berliner Bürger in die Hand“, sagt Martin, der von Anfang an dabei war. Und da sind sie sehr klar: „Abschiebeknast gehört abgeschafft, Abschiebung muss verhindert werden!“

2009 saßen in Berlin durchschnittlich 78 Personen in Abschiebehaft, 611 wurden abgeschoben. Seit 2005, vor dem EU-Beitritt Rumäniens, waren es noch 1.425 Personen. Seitdem insgesamt über 5.000, allein aus Berlin. Mittlerweile sind die meisten Abschiebungen aus Berlin nach Vietnam, in den letzten Jahren waren es etwa ein Drittel.

Wie es so ist, jede der Beteiligten Institutionen des Abschiebungssystems weist die Verantwortung für dieses unmenschliche Spiel von sich. Alle arbeiten nur nach Anweisung, so das übliche Argument. Die Polizei bringt sie zur AusländerInnenbehörde, diese schickt sie vor Gericht, und das wiederum hält sich auch nur an Gesetzte – und schickt sie so meist in Fünf-Minuten-Prozessen „ganz legal“ hinter Gitter: illegalisiert, kriminalisiert. Denn solange sie inhaftiert sind, sind sie leichter abzuschieben.

Zynischerweise kamen sie voller Hoffnung auf Menschenrechte hierher, oft nach monatelanger Flucht. Und das Erste, was sie erleben, ist das Gefängnis und der Abschiebeprozess mit klarem Ziel: Hauptsache, weg mit ihnen. „Die Inhaftierung ist sehr traumatisierend“, sagt Yolanda, seit 2003 aktiv in der Initiative. „Die Menschen in der Haft haben oft schwere Schicksale erlitten. Statt wie Kriminelle behandelt zu werden, brauchen sie Unterstützung!“ betont sie. Nur wie?

In den Abschiebegefängnissen haben konfessionelle SeelsorgerInnen mittlerweile ihre Büros, etwa drei von ihnen kümmern sich um anwaltliche Vertretung und eine menschliche Behandlung. Diese Arbeit ist wichtig, doch die Initiative beansprucht eine andere Rolle für sich: Sie kämpfen für die Abschaffung der Abschiebeknäste. Bei den regelmäßigen Treffen wird öfters die Gretchenfrage diskutiert, wie eine solche Balance konkret aussehen kann: die Situation verändern, ohne dabei das Gefängnis bloß zu humanisieren und der demütigenden Praxis nur ein menschliches Antlitz zu geben. Und die Klarheit bleibt: Abschiebung stoppen, Haft verhindern!

Zum Alltag der Initiative gehört der Besuch bei den Häftlingen. Innerhalb der Gefängnismauern hat das einen starken Effekt. Zum einen haben die Insassen während der Besuche die Möglichkeit, über die Situation im Gefängnis zu berichten. Zum anderen spüren wiederum die GefängniswärterInnen so, dass sie unter Beobachtung stehen und weitere Misshandlungen nicht unentdeckt bleiben werden. „Es geht darum, die Mauern des Gefängnisses zu durchbrechen“, sagt Yolanda, „auch mein eigener Horizont wächst mit jedem Menschen, der mir seine Geschichte und über die politische Situation und die Situation von Minderheiten im jeweiligen Land erzählt.“ Für Yolanda sind die Besuche im Knast ein Zeichen der Menschlichkeit gegen das unmenschliche System der Abschiebung und Abschiebehaft, die Solidarität geht durch die Mauern hindurch.

Parallel arbeitet die Initiative intensiv an der bundesweiten Aufklärung über die Situation. Sie lassen sich zu Podiumsdiskussionen einladen und halten Vorträge, geben Workshops an Schulen oder tragen mit ihrer Ausstellung „Auf gepackten Koffern“ die Realität aus den Gefängnissen in die Öffentlichkeit. So sind es nicht zuletzt auch die Mauern in unseren Köpfen, die durchbrochen werden können.JEAN PETERS