DER CRASHKURS
: Die Macht des Präsidenten

Juncker oder Schulz? Die EU sucht einen Kommissionspräsidenten. Wie viel Macht hat der Neue?

Theoretisch

… ist das Amt des Kommissionspräsidenten eines der wichtigsten der Europäischen Union. Der für fünf Jahre gewählte Amtsinhaber wird von dem Europäischen Rat vorgeschlagen, in dem die 28 Regierungschefs der Mitgliedsstaaten sitzen. Das EU-Parlament muss den Vorschlag annehmen. Im Moment steht der Portugiese José Manuel Barroso an der Spitze der Kommission. Der Kommissionspräsident entscheidet über die Leitlinien der Arbeit der Kommission, er besitzt also eine Richtlinienkompetenz, ähnlich wie die Kanzlerin in Deutschland. Außerdem bestimmt er – mit Einschränkungen – über die Zuständigkeiten der Kommissare. Da die EU-Kommission das sogenannte Initiativrecht besitzt, Gesetzesvorschläge auf den Weg zu bringen, kann der Präsident in der Theorie viel Macht ausüben.

Faktisch

In der Praxis sah es in der Vergangenheit oft anders aus. Die Regierungschefs einigten sich in der Regel auf Konsenskandidaten, von denen sie keine Querschüsse befürchten mussten. Die EU-Kommission kannte deshalb in ihrer Geschichte vor allem schwache Präsidenten. Außerdem agiert die Kommission nicht frei. Die Regierungschefs reden über den Rat und die Kommissare, die ja aus den Nationalstaaten kommen, ein gewichtiges Wort mit. Vor allem Deutschland und Frankreich bestimmen faktisch einen Großteil dessen, was in der EU passiert. Deshalb würde Kanzlerin Merkel am liebsten das alte Prozedere zur Wahl des Kommissionspräsidenten beibehalten.

Künftig

Im Moment spielt sich zwischen Brüssel und Straßburg eine kleine Revolution ab. Das EU-Parlament beharrt darauf, dass nur einer der gewählten Spitzenkandidaten der Parteien Kommissionspräsident werden darf. Neben Juncker, der für die Konservativen antrat, kämpfte zum Beispiel der Sozialdemokrat Martin Schulz um Wählerstimmen. Setzte sich dieses Prinzip durch, hätte der neue Kommissionspräsident eine andere Legitimation. Er wäre kein Präsident von Merkels Gnaden mehr, sondern wäre von den Abgeordneten – und somit den Wählern – bestimmt. Entsprechend könnte er sein Amt freier auslegen.

ULRICH SCHULTE